Geflüchtete Studierende
«Neues zu lernen, motiviert mich»
Eqbal Nabizada stammt aus Afghanistan und ist Fachmann Betreuung. Nun möchte er an der Universität Bern studieren.
«Ich hatte in Afghanistan noch keine klare Vorstellung, was ich studieren möchte. Interessiert hätte mich Theaterpädagogik. Was ich wusste: Beruflich möchte ich mit Menschen arbeiten. In der Schule gab ich Mitschülerinnen und Mitschülern manchmal Nachhilfeunterricht. Gut war ich in der Mathematik. Ich begann mich auch mit persischer Poesie und griechischer Philosophie zu beschäftigen. Nach zwölf Jahren Schule macht man in Afghanistan eine grosse Prüfung, um danach studieren zu können. Ich bin aber schon vorher – mit 17 Jahren – in die Schweiz gekommen.
Die Sicherheit in Afghanistan hat mich schon als Kind beschäftigt. Dass jemand wegen einer Bombe in meinem Familienkreis sterben musste, hat meine Kindheit geprägt. Ich fragte mich schon früh, warum solche Sachen passieren. Als ich älter wurde, wurde mir nach und nach klar, dass ich keine Aussichten auf eine gute Zukunft habe in Afghanistan. Bereits mit 14 wusste ich, dass ich das Land verlassen werde. Denn es irritierte mich, dass ich meine Meinung nicht sagen durfte. Mit 16 war ich in Afghanistan viel unterwegs. In dieser Zeit erlebte ich vieles, das mich verunsicherte. Einmal wurde ich im Bus von den Taliban erwischt, sie untersuchten meine Tasche und schauten alle meine Unterlagen an und fragten, was ich lerne und was ich mache.
Bedrohliche Flucht
Da ich zu wenig Geld hatte, musste ich ohne Pass und Visum fliehen. Deswegen vertraute ich mich Schleppern an, die mit uns den Weg teilweise mit dem Auto oder zu Fuss gingen. Das war 2015. Ohne Dokumente war meine Situation sehr bedrohlich. Der erste gefährliche Grenzübergang war zwischen Afghanistan und dem Iran. Die iranischen Grenzpolizisten schiessen einfach, wenn sie Menschen über die Grenze laufen sehen. Man muss sich gut verstecken und schauen, dass man nicht erwischt wird. Vor der Grenzüberquerung vom Iran in die Türkei mussten wir mehrere Tage ohne Essen auskommen. Wir übernachteten in den Bergen. Von der Türkei gingen wir mit dem Gummiboot nach Griechenland. Es war Glück im Unglück, dass ich das alles geschafft habe. Das ist alles andere als selbstverständlich. Es gab Menschen, die mit mir unterwegs waren, und im Wasser ertrunken sind oder auf dem Fluchtweg erschossen wurden.
Deutsch übers Internet gelernt
Ich wollte einfach nach Europa, ein bestimmtes Land hatte ich nicht vor Augen. Am Anfang war es hier in der Schweiz schwierig für mich. Ich hatte einen Kulturschock. Ich konnte die Sprache nicht, ich kannte die Kultur und das soziale Verhalten nicht. Ich empfand die Gesellschaft als verschlossen. Zunächst bekommt man fast keine Möglichkeit, sich zu integrieren, sich gewisse Sachen anzueignen. Die deutsche Sprache habe ich zuerst übers Internet gelernt. Es gab positive Erlebnisse mit freiwilligen Helferinnen und Helfern, da erhielt ich Unterstützung. Weil man sich ganz anders verhält als die anderen, fällt man auf. Mitarbeitende in einem Laden hatten manchmal den Verdacht, dass wir klauen. Ich war mit so vielen neuen Sachen konfrontiert, die ich zuerst gar nicht einordnen konnte. Manchmal fragte ich mich einfache Dinge wie: Wie kaufe ich im Coop ein? Wenn ich etwas Neues kennengelernt habe, zeigte ich es den anderen in der Unterkunft, damit sie nicht durch Unwissen den gleichen Fehler wie ich machen.
«Es ist Glück im Unglück, dass ich es in die Schweiz geschafft habe. Anfangs war es hier nicht leicht für mich. In der Unterkunft erzählten wir uns abends von den gemachten Erfahrungen und unterstützten einander, um uns in der Schweizer Kultur zurechtzufinden. Neues zu lernen, motiviert mich, um morgens gut gelaunt in den Tag zu starten. Heimat ist für mich eher ein Gefühl als ein Ort.»
Eqbal Nabizada
Zuerst war ich in einer Schule für Flüchtlinge im Kanton Aargau. Dort half man mir, eine Lehrstelle zu finden. Da ich etwas Soziales machen wollte, interessierte ich mich für eine Stelle als Fachperson Betreuung von Kindern. Schliesslich fand ich eine Lehrstelle als Fachperson Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigung. Diese Ausbildung ging drei Jahre. In einem Gruppenchat erfuhr ich danach vom Hochschulvorbereitungsprogramm . Ich dachte: «Du kannst es ja mal probieren.» Aber ich war eigentlich sicher, dass es nicht klappt, doch versuchen kostet ja nichts.
Andere unterstützen
Ich habe mit Ann-Seline und Solvej vom Kompass-Team telefoniert und mich informiert. Danach fing ich an, alle Dokumente zu sammeln und meine Bewerbung zu schreiben. Und es hat geklappt. Mit Kompass UniBE habe ich mein Deutsch nochmals deutlich verbessert. Ich half anderen im Kurs, die mit der deutschen Sprache noch nicht so vertraut waren. Es ist ein schönes Gefühl, andere unterstützen zu können. Jetzt bin ich noch daran, Informationen über verschiedene Studiengänge einzuholen. Ich habe mich immer für Sozialwissenschaften interessiert, aber mal schauen. Denn es gehen immer mehr Türen auf, auch die Wirtschaftswissenschaften klingen spannend.
Etwas zur Gesellschaft beitragen zu können, das motiviert mich stets. Neue Menschen kennenzulernen, neue Sachen zu erfahren oder lernen, das macht mir Freude. Dann kann ich am Morgen gut aufstehen. Manchmal ist mir aber alles zu viel, dann ist alles ein hoher Berg. Aber wenn ich mir die richtige Hilfe hole, wird es wieder besser. Mein Ziel ist es, in der Schweiz ein Studium abzuschliessen, danach möchte ich eine Familie gründen und arbeiten und wenn möglich reisen. Eigentlich möchte ich auch anderen Flüchtlingen helfen, die hierherkommen.
Dazugehören
Momentan habe ich sehr wenig Bezug zu meiner Heimat. Ich habe nur Kontakt mit meinen Eltern. Es ist schwierig, Kontakt zu meinen Freunden zu halten, weil ich sie nur zu einer bestimmten Zeit erreichen kann. Vermutlich könnte ich gar nicht zurückgehen, selbst wenn ich wollte. Sollte es in Zukunft mal klappen, würde ich gerne meine Eltern besuchen gehen. Wenn man seine Heimat verlässt, so glaube ich, verliert man irgendwie auch seinen Wert.
Ein Heimatgefühl habe ich in mir selbst gefunden, denn Heimat ist für mich eher ein Gefühl als ein Ort. Denke ich an meine Eltern und meine Kindheit, dann ist Afghanistan meine Heimat. Wenn ich an die vergangenen neun Jahre denke, ist die Schweiz meine Heimat. Ich habe hier Freunde gefunden, ich bin ein offener Mensch und trete in Kontakt mit anderen, egal woher sie kommen. In Afghanistan hatte ich auch nie so richtig das Gefühl, dazuzugehören. Ich gehörte dort zu den Hazara, also zu einer Minderheit. Deshalb habe ich mich schon immer mit der Bedeutung von Heimat auseinandersetzen müssen.»
Kompass UniBE
Hochschulvorbereitung für geflüchtete Studierende
ist ein zweisemestriges Hochschulvorbereitungsprogramm für geflüchtete Personen, die ein Studium an der Universität Bern anstreben. Die Teilnehmenden können während einem Jahr studienrelevante Fähigkeiten und akademische Grundkompetenzen erwerben und sich gleichzeitig sprachlich, fachlich und organisatorisch auf die mögliche Aufnahme eines Studiums vorbereiten. Somit können sie länderspezifische Zulassungskriterien, die aufgrund der Fluchtsituation nicht (oder nur sehr schwer) zu erfüllen sind, durch das Bestehen des Vorbereitungsjahres kompensieren und sich für ein Studium qualifizieren.
Aktuell nehmen Studierende aus der Türkei, der Ukraine und Afghanistan am Programm teil. Im ersten Pilotjahr war die Anzahl Teilnehmende auf 20 begrenzt, im zweiten Pilotjahr sind bis 40 möglich.