Kizzmekia Corbett-Helaire: Impfstoffe für die Zukunft

Die Virologin und Immunologin Kizzmekia Corbett-Helaire erhält den Hans-Sigrist-Preis 2024 für ihren Beitrag zur Entwicklung eines COVID-19-mRNA-Impfstoffs. Ihre Forschung erweitert die Grenzen der Impfstofftechnologie.

Text: Liselotte Selter 22. November 2024

Kizzmekia Corbett-Helaire, Virusimmunologin an der T.H. Chan School of Public Health in Boston, erhält am Dies academicus 2024 der Universität Bern den mit 100'000 Franken dotierten Hans-Sigrist-Preis. © zvg

Bereits mit 16 Jahren tauchte Kizzmekia Corbett-Helaire in die Welt der Wissenschaft ein. Während eines Praktikums an einer nahegelegenen Universität in North Carolina entdeckte sie die Freiheit und Kreativität, die wissenschaftlicher Forschung innewohnen. «Wissenschaft ist auf eine Art befreiend – wenn ich morgens zur Arbeit gehe, fühle ich mich frei. Frei zu entscheiden, über was ich heute nachdenken möchte, ob ich ein Meeting absagen möchte, welche Forschungsansätze ich verfolgen möchte oder eben nicht. Für mich ist Wissenschaft fast schon eine Kunstform für Nerds», reflektiert sie heute.

Impfstoffe zur Bekämpfung gesundheitlicher Ungleichheit

Als Studentin belegt Corbett-Helaire Vorlesungen sowohl in Biologie als auch in Soziologie – eine Kombination, die ihre späteren Ansätze in der Impfstoffforschung beeinflussen sollte. Anfang 2004, als die HIV-Pandemie ihren Höhepunkt erreichte, wurde ihr bewusst, wie ungleich der Zugang zu medizinischer Versorgung in der US-amerikanischen Bevölkerung tatsächlich war. «Ich dachte damals: Wenn ich in irgendeiner Weise Einfluss auf die unfaire Verteilung der Gesundheitsressourcen nehmen will, muss ich meinen wissenschaftlichen Intellekt nutzen, um herauszufinden, wie man wirksamere und besser zugängliche Impfstoffe herstellt», sagt Corbett-Helaire. Angetrieben von einer tiefen Neugier und auch dem Wunsch zu verstehen, weshalb manche Menschen an Viren erkranken und andere nicht, entschied sie sich, ihre zukünftige Forschung der Impfstoffentwicklung zu widmen: «Impfstoffe haben das Potenzial, gesundheitliche Disparitäten auszugleichen», ist sie überzeugt.

Zur Person

Kizzmekia Corbett-Helaire

ist Assistenzprofessorin für Immunologie und Infektionskrankheiten an der Harvard T.H. Chan School of Public Health. Sie nutzt ihr Fachwissen im Bereich der viralen Immunologie, um die Entwicklung neuartiger Impfstoffe zur Pandemievorsorge voranzutreiben. Ausserdem engagiert sie sich für benachteiligte Gemeinschaften, um dort die MINT-Bildung zu fördern und das Bewusstsein für die Wichtigkeit und Wirksamkeit von Impfungen zu schärfen.

Heute leitet Corbett-Helaire ein Labor mit elf Forschenden an der Harvard University. Zu ihrem interdisziplinären Team gehören Forschende aus dem Bereich der Molekularen Virologie, der viralen Immunologie sowie KI-Experten und -Expertinnen. Gemeinsam arbeiten sie daran, genauer zu verstehen, wie Viren Krankheiten verursachen und wie das Immunsystem darauf reagiert.

Durchbruch im Kampf gegen COVID-19

Corbett-Helaires Arbeit am COVID-19-mRNA-Impfstoff brachte ihr internationale Anerkennung ein. Sie war massgeblich an der schnellen Entwicklung des Moderna-Impfstoffs beteiligt, eine Leistung, die sie einer Kombination aus wissenschaftlicher Genauigkeit und der Bereitschaft, Fehlschläge zu akzeptieren, zuschreibt. «Wir haben für unsere Experimente den Impfstoff bewusst niedrig dosiert und in Kauf genommen, dass er nicht wirksam ist. Wir wussten ja schon, was der Impfstoff leisten kann. Aber nur so konnten wir herausfinden, wo die Schwachstellen und Grenzen des Impfstoffs lagen», erklärt sie. Dieser Ansatz ermöglichte es ihrem Team, herauszufinden, welche Menge an Impfstoff für eine effektive Immunantwort erforderlich ist, wie der Körper reagiert, wenn diese Menge nicht erreicht wird und welche unerwünschten Reaktionen auftreten, wenn die Immunantwort zu schwach ausfällt. Konkret ermöglichte dies ein besseres Verständnis der potenziellen Nebenwirkungen wie zum Beispiel der «Impfstoff-induzierten verstärkten Krankheit», die zu Beginn ein wichtiger Forschungsbereich war.

Auch nach dem Erfolg des COVID-19-Impfstoffs richtet Corbett-Helaire den Blick in die Zukunft. Derzeit untersucht sie die Verwendung von Nanopartikeln – winzige Partikel im Nanometerbereich, die oft als Träger für Wirkstoffe dienen – zur Herstellung von Impfstoffen gegen Atemwegsviren mit einem breiterem Wirkungsspektrum. «Dieser innovative Ansatz kombiniert den Schutz vor mehreren Viren in einer einzigen Impfung, etwa gegen Grippeviren, Respiratorisches-Synzytial-Viren (RSV) und Coronaviren, und erweitert damit die Grenzen der Impfstoffwirkung», sagt sie.

Herausforderungen meistern und zukünftige Forschende unterstützen

Corbett-Helaire ist sich bewusst, dass eine wissenschaftliche Karriere mit einer Vielzahl von Herausforderungen verbunden ist. Diese reichen von der Sicherung der Forschungsfinanzierung bis dahin, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft zu gewinnen und zu erhalten – dies insbesondere nach der COVID-19-Pandemie: «Die Pandemie hat bei den Menschen einen schalen Beigeschmack in Bezug auf die Wissenschaft hinterlassen. Es ist von entscheidender Bedeutung, das Momentum in der Wissenschaftskommunikation aufrechtzuerhalten.»

Jungen Forschenden rät sie, sich frühzeitig mit den eigenen Grenzen auseinanderzusetzen. «Man darf ruhig auch egoistisch sein, in Bezug auf die wissenschaftlichen Fragen, die man stellt, und seine persönlichen Interessen in die Forschung einfliessen lassen. Zum Beispiel könnte jemand, dessen Familie stark von Diabetes betroffen ist, das Bedürfnis haben zu erforschen, warum bestimmte Viren Menschen mit Diabetes schwerer treffen als andere. Dies wäre meiner Meinung nach völlig legitim.» Corbett-Helaire fügt hinzu: «Wenn man eine bestimmte Karrierestufe in der Forschung erreicht hat, hat man oft nicht mehr die Zeit, allem zuzustimmen. Deshalb ist es wichtig zu lernen, dass man auch ‚Nein‘ sagen darf», betont sie.

Corbett-Helaire setzt sich leidenschaftlich für bessere Bildung im MINT-Bereich ein (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sowie für mehr Diversität in der Forschung, insbesondere hinsichtlich benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Sie stellt fest, dass die Finanzierung solcher Initiativen oft knapp ist: «Wissenschaftskommunikation wird oft als gemeinnützige Arbeit und nicht als wesentlicher Bestandteil der Wissenschaft angesehen», bedauert sie. Schon in jungen Jahren fungierte sie als Bindeglied zwischen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Öffentlichkeit. «Ich war in meiner Familie und in meinem Umfeld immer diejenige, die sich mit wissenschaftlichen und medizinischen Fragen auskannte und entsprechend in unserer Kirchgemeinde informiert habe. Diese Rolle hat sich später auf meine Karriere in der Forschung ausgeweitet.»

Beispiellose Geschwindigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts

Mit ihrer innovativen Forschung und ihrem unermüdlichen Einsatz hat Corbett-Helaire grosses Potenzial, noch mehr Fortschritte auf dem Gebiet der Virologie und Immunologie zu leisten. «Impfstoffe gehören zu den brillantesten Erfindungen der Menschheit», sagt Marcel Zwahlen, Professor für Epidemiologie an der Universität Bern und Vorsitzender des diesjährigen Preiskomitees. «Die Geschwindigkeit, mit der ein hochwirksamer Impfstoff entwickelt wurde, war ein echtes technologisches Wunder» und verdiene daher die Anerkennung durch den renommierten Hans-Sigrist-Preis 2024.

Sven Rottenberg, Präsident der Hans-Sigrist-Stiftung an der Universität Bern, sagt: «Die Stiftung freut sich, nicht nur das das diesjährige Preisgebiet zu unterstützen, sondern auch Corbett-Helaire und andere Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet zum jährlichen Hans Sigrist-Symposium einzuladen. Die Universität Bern ist ein ausgezeichnetes Forum, um Spitzenforscherinnen und -forscher zusammenzubringen und über Infektionskrankheiten und biomedizinische Forschung zu diskutieren.» Marcel Zwahlen ergänzt: «Diese faszinierende Forschung ebnet den Weg für zukünftige Anwendungen wie zum Beispiel die personalisierte Krebstherapie.»

Der Gewinn des Hans-Sigrist-Preises ist ein wichtiger Meilenstein für Corbett-Helaire. Sie plant, das Preisgeld für die weitere Erforschung von Impfstoffen auf Nanopartikel-Basis zu verwenden, und fasst zusammen: «Es ist eine Ehre, als Teil der Bewegung anerkannt zu werden, die versucht, das medizinische Potenzial von mRNA zu fördern.»

Medieneinladung Hans-Sigrist-Symposium 2024

Am Freitag, 6. Dezember 2024 findet an der Universität Bern das Hans-Sigrist-Symposium statt. Es vereint in diesem Jahr Fachleute aus der RNA-Biologie und Immunologie. Im Rahmen des Symposiums wird auch die diesjährige Hans-Sigrist-Preisträgerin geehrt: Die Virologin und Immunologin Kizzmekia Corbett-Helaire von der Harvard T.H. Chan School of Public Health erhält den Preis für ihren Beitrag zur Entwicklung eines COVID-19-mRNA-Impfstoffs.

Zur Medieneinladung

HANS-SIGRIST-PREIS UND HANS-SIGRIST-SYMPOSIUM

Der Stiftungsrat der Hans-Sigrist-Stiftung wählt das Preisfeld jedes Jahr aus Vorschlägen der Fakultäten der Universität Bern aus. Der Preis wird in Anerkennung von Forschungsleistungen und zur Unterstützung zukünftiger Forschungsvorhaben verliehen. Die Preisträgerinnen und Preisträger verwenden den mit 100'000 CHF dotierten Preis zur Finanzierung weiterer Forschung im Preisfeld. Zwei frühere Hans-Sigrist-Preisträger wurden inzwischen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Weitere Informationen

DIES ACADEMICUS 2024

Dr. Kizzmekia Corbett-Helaire erhält den Hans-Sigrist-Preis am Dies academicus der Universität Bern, der dieses Jahr am Samstag, 7. Dezember 2024, im Casino Bern am Casinoplatz 1 in Bern stattfindet.

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