Abschiedsinterview
«Als Rektor allein setzt man keine Projekte um»
Rektor Christian Leumann verlässt die Universität Bern per Ende Woche und wird Vorsitzender der Interimsleitung der Insel Gruppe. Er hat die Uni Bern in den letzten acht Jahren umsichtig geführt, diverse Entwicklungen wie etwa «Medizin 100 plus» verantwortet und die internationale Zusammenarbeit gestärkt.
Herr Leumann, Sie wechseln jetzt noch vor dem offiziellen Ende Ihrer Amtszeit als Rektor in die Insel Gruppe als CEO. Haben Sie sich Ihren Austritt aus der Universitätswelt so vorgestellt?Christian Leumann: Nein, das habe ich mir natürlich nie so vorgestellt und es war bis vor kurzem auch kein Thema, dass ich nach dem Rektorat und meiner Emeritierung nochmals fast einen Fulltime-Job annehmen sollte. Mein Engagement an der Insel ist aufgrund einer Notsituation entstanden. Man brauchte kurzfristig eine interimistische Lösung, die sicherstellen konnte, dass der Betrieb insbesondere im Medizinalbereich weitergeführt wird und die ihn dann in ruhigere Bahnen führen soll.
Und was bedeutet das für Sie privat?Das war kein einfacher Entscheid. Ich habe ihn auch nicht allein getroffen. Im Gegenteil: Wir haben das daheim intensiv diskutiert und wir müssen nun prüfen, was wir von unseren Plänen retten können. Wofür es gut aussieht, sind die geplanten drei Wochen Ferien im September. Aber man weiss nie, ob es dann wirklich gelingt, sich aus allem herauszuhalten. Aber was natürlich auf der Strecke bleibt, ist die Spontanität. Wir wollten ursprünglich vor allem auch die freie Agenda nutzen, um auch mal ungeplant etwas zu unternehmen. Das ist jetzt natürlich wieder weg, die Agenda ist durchgetaktet.
Jetzt kommt es an der Universität zu einer doch eher schnellen Übergabe der Geschäfte. Ist das kein Problem?Das sollte eigentlich kein Problem sein, da die Nachfolgen von mir und vom freiwerdenden Vizerektorat bereits geregelt sind. Und es geht ja zu guter Letzt auch nur um sechs Wochen. Aber es verlangt vor allem von meiner Nachfolgerin Virginia Richter eine grosse Flexibilität. Sie muss nun ihre Pläne für eine geordnete Geschäftsübergabe des Vizerektorats und der wissenschaftlichen Projekte neu organisieren. Ich bin ihr und auch der gesamten Universitätsleitung extrem dankbar, dass sie alle Verständnis aufbringen und sich gegenseitig hervorragend unterstützen.
Die Uni ist derzeit mit grossen Veränderungsprojekten beschäftigt – die Rede ist vor allem von Fit for Future und ENLIGHT. Wie werden diese Projekte vom Wechsel betroffen sein?Das sind lang angelegte Projekte und es war immer klar, dass sie meine Amtszeit als Rektor überdauern werden. Es besteht deshalb keine Gefahr, dass sie jetzt nicht weiterverfolgt werden, nur weil ich sechs Wochen früher zurücktrete. Diese Projekte werden von der ganzen Unileitung und von vielen weiteren engagierten Personen getragen und ich bin überzeugt, dass diese Leute die Projekte wie geplant weitertreiben werden.
«Wir müssen uns in allen Wissens- und Lehrkulturen den im Raum stehenden Fragen stellen, was denn eigentlich Wissenschaftlichkeit ist, was die Aufgabe einer Uni ist und auch, was eben nicht die Aufgabe einer Universität ist.»
Christian Leumann
Sie haben sich in den letzten Wochen und Monaten sehr intensiv mit dem Thema Wissenschaftlichkeit und Aktivismus beschäftigt, beschäftigen müssen. Ist das eine neue Entwicklung?Das ist schwierig zu sagen. Es ist wohl eher eine Thematik, die sich schon über Jahrzehnte entwickelt hat, aber sie ist bisher noch nie in einer derartigen Prägnanz an die Oberfläche gekommen, wie jetzt nach dem Überfall der Hamas auf Israel und des darauffolgenden und noch andauernden Krieges. Dies hat zu Verwerfungen in der Universitätslandschaft auf der ganzen Welt geführt und das muss uns zum Nachdenken anregen. Wir müssen uns in allen Wissens- und Lehrkulturen den im Raum stehenden Fragen stellen, was denn eigentlich Wissenschaftlichkeit ist, was die Aufgabe einer Uni ist und auch, was eben nicht die Aufgabe einer Universität ist. Diesen Dialog müssen wir innerhalb der Universität führen und ich bin überzeugt, dass er auch geführt werden wird. Das ist bei meiner Nachfolgerin in besten Händen.
Sie haben vor acht Jahren das Rektorat übernommen. Wie haben Sie den Moment Ihrer Wahl in Erinnerung?Ich weiss noch, dass ich beim Interview im Senat sagte, die Uni Bern verkaufe sich und ihre Leistungen weit unter Wert. Und ich sei der Ansicht, dass wir viel selbstbewusster auftreten dürften. Interessanterweise war es für mich viel schwieriger, 2011 Vizerektor zu werden. Da wurden alle Vizerektorate neu bestellt und es gab Konkurrenz. Ich wartete zusammen mit Bruno Moretti vor dem Senatszimmer auf das Interview. Er ist reingegangen und kam nach fünf Minuten wieder heraus und alles war entschieden. Und bei mir hat der Senat etwa zwanzig Minuten verhandelt und da dachte ich schon, dass es auch schief gehen könnte.
Wie hat sich die Arbeit als Rektor in Ihrer Amtszeit verändert?Bis 2019 konnten wir uns sehr stark auf die Entwicklung und Positionierung der Universität konzentrieren und mehr oder weniger in Ruhe arbeiten. Dann kam Corona. Wir mussten zum ersten Mal in meiner Amtszeit den Krisenstab einberufen. Dieser tagte während fast eineinhalb Jahren jede Woche und wir waren sehr stark im Krisenmanagement gefangen und hatten kaum Zeit, die Uni weiterzuentwickeln. Die grösste Veränderung hatten wir aber wohl im letzten halben Jahr. Seit dem 7. Oktober sind wir mit einer Situation konfrontiert, die uns alle extrem herausfordert. Und ich habe etwas den Verdacht, diese Krisenerfahrung war auch etwas der Grund, warum man mich nun in die Insel holt.
Haben diese Krisen auch die Position des Rektors verändert?In Krisen braucht es sicherlich eine etwas stärkere, klarere und auch zentralistischere Führung, weil man in solchen Situationen rasch entscheiden muss, und weil auch nicht jede Fakultät eigene Massnahmen und Massstäbe entwickeln kann und soll. Umgekehrt ist dann auch das Bedürfnis innerhalb einer Uni nach Führung grösser und als Rektor hat man eine entsprechende Verantwortung. Aber das ist in einer Expertenorganisation wie einer Uni kein langanhaltender Effekt. Gegen innen relativiert sich die Führungsstärke rasch beim Nachlassen einer Krise, weil die Fakultäten dann ihre Position wieder einnehmen und ihre eigene Analyse zum Krisenmanagement durchführen, was auch richtig ist. Aber gegen aussen bleibt das Bild, dass der Rektor die Galionsfigur der Uni ist, stärker als das vorher der Fall war.
Gibt es Entscheidungen, die Sie im Nachhinein anders treffen würden?Es ist ja nicht so, dass ich als Rektor Entscheidungen alleine treffe, sondern alle Entscheidungen sind in der Universitätsleitung gefallen. Es gab, glaube ich, in meiner gesamten Unileitungskarriere nur gerade zweimal eine Abstimmung, alle andere Entscheidungen waren konsensuell erzielt worden. Die Vorgespräche und Diskussionen in diesem Gremium führen zu einer kritischen Betrachtung von Ideen und entsprechend auch zu einer Selektion. Im Nachhinein kann ich deshalb sagen, es fällt mir nichts ein, das ich bereuen würde oder wo wir einen grossen Bock geschossen hätten.
Inwiefern konnten Sie die Forschung und die Lehre an der Universität fördern und entwickeln?Nachwuchsförderung war mir schon immer ein Anliegen und hier konnten wir sicherlich einen Schritt machen in Richtung einer attraktiveren und besseren Karriereplanung für jüngere Nachwuchsforschende. Ein zweiter wichtiger Punkt war für mich, dass wir an der Universität ein Verständnis entwickeln konnten, welches die wissenschaftliche Wertschöpfungskette von Grundlagenforschung über Innovationen bis zur Erarbeitung von wirtschaftlich und gesellschaftlich relevanten Produkten und Dienstleistungen umfasst. Früher waren wir sehr auf Grundlagenforschung fokussiert und heute übersetzen wir unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse stärker in einen gesellschaftlichen Mehrwert. Das ist ja auch einer der Aufträge, die eine Uni hat.
«Nachwuchsförderung war mir schon immer ein Anliegen und hier konnten wir sicherlich einen Schritt machen in Richtung einer attraktiveren und besseren Karriereplanung für jüngere Nachwuchsforschende.»
Christian Leumann
In der Lehre haben wir Massnahmen entwickelt, um mit der Digitalisierung und deren rasenden Entwicklungen, etwa hin zur künstlichen Intelligenz, umzugehen. Wichtig war mir immer, dass wir hier den Menschen im Zentrum sehen und uns nicht von der Technologie treiben lassen. Wir möchten, dass unsere Studierenden die relevanten Grundlagen erarbeiten, die sie für ihre zukünftigen Führungsaufgaben in Wirtschaft und Gesellschaft befähigen, unabhängig davon, welche Fachrichtung sie gewählt haben. Wie hat sich die Universität während Ihrer Amtszeit denn insgesamt verändert?Was ich festgestellt habe, ist, dass einerseits die IT-Systeme sich massiv verändert haben und andererseits Führung auf allen Ebenen schwieriger geworden ist. Früher hatten wir IT-Systeme als Hilfsmittel, heute bauen wir die Prozesse um die Systeme darum herum. Führung war noch als Forscher oder Forscherin eher ein Nebeneffekt, den man «on the job» gelernt hat. Heute geht das mit den gesetzlichen Vorgaben, etwa ans Personalwesen oder die Finanzen, sowie mit den Ansprüchen an professionelle Betreuung von Mitarbeitenden, etwa in Bezug auf Mitarbeitendengespräche und an die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse wie Homeoffice nicht mehr so einfach. Das sind eben nicht einfach administrative Prozesse, sondern Führungsaufgaben, die man heute auch an einer Uni in einer Kaderposition zu übernehmen hat.
Welche Momente Ihrer Amtszeit sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?In Erinnerung bleiben mir ganz viele Projekte, die wir anstossen und umsetzen konnten. Ich nenne zum Beispiel «Medizin 100 Plus», die Entwicklung der Pharmazieausbildung zum Vollstudium oder den Aufbau der School of Engineering zusammen mit der Berner Fachhochschule. Wir haben zudem strategische Forschungszentren aufgebaut, die Strategie 2030 und die Digitalisierungsstrategie entwickelt und die Möglichkeit gehabt, die Wyss Academy aufzubauen. Diese Momente der Gestaltung habe ich immer sehr positiv empfunden.
Wie hat Sie die Position des Rektors persönlich geprägt?Ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit – besonders auch während der Krisensituationen. Ich durfte viel in der Uni unterwegs sein und hatte dadurch die Möglichkeit, ganz viele Facetten kennenzulernen und den Organismus Universität zu verstehen. Persönlich konnte ich mir zudem ein grosses Netzwerk aufbauen und durfte mit Leuten zusammentreffen, die in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in der Schweiz eine wichtige Rolle einnehmen. Was mich immer am meisten aufgestellt hat und was ich auch vermissen werde, sind die Gespräche und Begegnungen an der Uni, in den Gängen. Diese täglichen Begegnungen gehörten für mich zu den tollsten Momenten überhaupt.
«Was ich auch vermissen werde, sind die Gespräche und Begegnungen an der Uni, in den Gängen. Diese täglichen Begegnungen gehörten für mich zu den tollsten Momenten überhaupt.»
Christian Leumann
Gibt es Personen oder Gruppen, denen Sie besonders danken möchten?Hätte ich nicht zu Beginn bereits die Unterstützung in der Universität erhalten, hätte ich mich nie bis zum Rektor entwickeln können. Da gibt es zahlreiche Menschen in der Chemie, denen ich dankbar bin für ihr Vertrauen. Ich war offenbar immer wieder am richtigen Ort und als Person auch immer offen für Veränderungen. Und dann sind da natürlich diejenigen, mit denen man als Rektor am meisten zu tun hat: die Kollegen und Kolleginnen in der Unileitung und alle Personen, die ich direkt geführt habe. Aber das wäre zu kurz gegriffen, ich möchte mich wirklich bei allen Mitarbeitenden bedanken, die täglich mit ihrem ausserordentlichen Einsatz helfen, die Uni besser zu machen. Denn als Rektor alleine setzt man keine Projekte um.
Was möchten Sie der Universität Bern noch abschliessend mit auf den Weg geben?Ich bin da etwas zurückhaltend, weil ich abschliessende Weisheiten als eher etwas heikel empfinde. Wenn ich aber etwas mitgeben sollte, dann vielleicht Folgendes: Liebe Kollegen und Kolleginnen an der Uni Bern, bleibt dynamisch, flexibel und bereitet euch so auf den Wandel und auf das Unvorhersehbare vor, denn beides wird kommen. Macht weiter so und arbeitet zusammen, ich bin überzeugt, dass ihr wisst, was getan werden muss.
Prof. Dr. Christian Leumann ist seit 2016 und noch bis am 14. Juni 2024 Rektor der Universität Bern. Zuvor war er seit 2011 als Vizerektor Forschung Mitglied der Universitätsleitung. Christian Leumann, 1958 geboren, dissertierte an der ETH Zürich in Biochemie. Nach einem Postdoktorat an der University of California arbeitete er als Oberassistent an der ETHZ. 1993 wurde er ordentlicher Professor für bioorganische Chemie am Departement für Chemie und Biochemie an der Universität Bern. Christian Leumann ist Vater zweier erwachsener Kinder und lebt mit seiner Frau in Bern.Zur Person
Christian Leumann