«Krisenzeiten erfordern mehr Evaluierung»

Verantwortliche aus Regierungsbehörden und internationalen Organisationen lernen an der Universität Bern neue Methoden zur Evaluierung von Entwicklungsprogrammen im Globalen Süden. Diese Weiterbildung ist angesichts aktueller Budgetkürzungen auf dem Gebiet besonders wertvoll.

Text: Samuel Schläfli 08. August 2024

Kursleiterin Stefanie Krapp (mitte) mit Teilnehmerinnen Vida Opoku (links) und Lilian Wawa an der IPDET-Weiterbildung. Bild: IPDET
Kursleiterin Stefanie Krapp (mitte) mit Teilnehmerinnen Vida Opoku (links) und Lilian Wawa an der IPDET-Weiterbildung. Bild: IPDET

Im Foyer des UniS-Gebäudes treffen an diesem Mittwochmorgen Mitte Juli über 200 Menschen aus aller Welt aufeinander, ihr Englisch ist mit Dutzenden von Akzenten durchsetzt. Am Eingang des Foyers hängt eine Weltkarte, die zeigt, woher die Teilnehmenden des diesjährigen «International Program for Development Evaluation Training» (IPDET) kommen: von den Kapverden, aus Lesotho, Niger, Simbabwe, dem Libanon, den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Jemen ... – insgesamt aus 71 Ländern. 

Aha-Momente beim Training mit Fallbeispielen

Das Läuten einer traditionellen Schweizer Kuhglocke signalisiert das Ende der Pause. Die Teilnehmenden verteilen sich auf verschiedene Räume und arbeiten in Gruppen an Fallbeispielen. Zum Beispiel an der Evaluation eines Landwirtschaftsprojekts in Sri Lanka, das die Produktivität von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern durch nachhaltige Anbaupraktiken steigern will. An den Wänden hängt Packpapier, auf dem mit Pfeilen und farbigen Karten das Vorgehen und die Ziele skizziert sind. Auf den Karten stehen Begriffe wie Impact, Outcomes, Participation und Theory of Change. In Achter-Gruppen wird diskutiert, welche Form der Evaluation in diesem Fall am aussagekräftigsten ist, was die zentralen Fragen sind und wo die Grenzen der Aussagekraft liegen. Das in Theorieblöcken erworbene Wissen wird direkt angewendet. Anschliessend werden die Ergebnisse in grösseren Gruppen präsentiert.

Eine der Teilnehmenden ist Vida Opoku aus Ghana, Spezialistin für Monitoring und Evaluation bei der NGO «Compassion International». Sie arbeitet seit zehn Jahren im Bereich der Evaluation und unterstützt die Wirkungsmessung der NGO in Ghana. Das meiste Wissen habe sie sich «on the job» selbst angeeignet, erzählt sie. «Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich in meinem Berufsleben tiefere Wurzeln schlagen und meine Kompetenzen weiter ausbauen möchte.» Sie habe bereits in den ersten drei Tagen zahlreiche Aha-Momente erlebt, erzählt Opoku. «Wir sprechen bei unserer Arbeit zum Beispiel viel von einer ‹Theory of Change›, die aufzeigt, wie und warum eine gewünschte Veränderung in einem bestimmten Kontext erwartet werden kann. Zum ersten Mal habe ich hier wirklich verstanden, weshalb diese Theorie wichtig ist und wie sie in der Praxis effizient eingesetzt wird.»

«Das ist ein wichtiger Beitrag, damit in Zukunft mehr Frauen Führungsrollen in der Entwicklungsevaluation übernehmen.»

– Vida Opoku

Opoku schätzt zudem, dass sie Einblicke in die Arbeit ihrer internationalen Kolleginnen und Kollegen erhält. Eine Idee, die sie aufgegriffen hat und in ihre tägliche Arbeit einbinden will, ist das Erstellen einer Checkliste, um effizienter zu evaluieren, welche externen Dienstleister am besten für bestimmte Aufgaben geeignet sind. «Zudem finde ich es grossartig, dass so viele Frauen an diesem Programm teilnehmen», sagt Opoku. Rund 70 Prozent der Teilnehmenden sind dieses Jahr Frauen. «Das ist ein wichtiger Beitrag, damit in Zukunft mehr Frauen Führungsrollen in der Entwicklungsevaluation übernehmen.»

International anerkanntes Programm

Neben Mitarbeitenden von NGOs, Hochschulen, Unternehmen und freien Konsulentinnen kommen die meisten Teilnehmenden aus Regierungsbehörden. Die Qualität der Ausbildung sei mittlerweile breit anerkannt, sagt Stefanie Krapp, Leiterin des IPDET an der Universität Bern. «Viele Regierungen im Globalen Süden schicken ihre Expertinnen zu uns, damit sie später zuhause ein robustes Evaluierungssystem aufbauen.» Die meisten Teilnehmenden blieben in Kontakt und arbeiteten zum Teil später bei Evaluationen zusammen. «Genau das macht unser Programm so einzigartig.»

«Viele Regierungen im Globalen Süden schicken ihre Expertinnen zu uns, damit sie später zuhause ein robustes Evaluierungssystem aufbauen.»

– Stefanie Krapp

Letztes Jahr hätten die mongolischen Teilnehmerinnen im Anschluss an das Programm den ersten nationalen Verband für Evaluation gegründet. Dieses Jahr seien zwei Parlamentsmitglieder aus Nepal und der Mongolei vor Ort, und die Regierung Tansanias habe sieben Beamte und Beamtinnen geschickt, erzählt Krapp.

Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe

«Die Zeiten sind vorbei, in welchen die internationalen Geldgeber aus dem Norden im Globalen Süden ‹ihre› Programme evaluiert haben», sagt Candice Morkel, Direktorin des Zentrums für Evaluierung an der Universität von Witwatersrand in Südafrika, und eine der Instruktorinnen des Programms. «Heute machen das die Staaten selbst.» Die Einbindung lokaler Akteure wie Regierungen, NGOs und Gemeinschaften in die internationale Zusammenarbeit und die Respektierung der staatlichen Souveränität seien wichtiger geworden. «Wir wollen sicherstellen, dass die Verantwortlichen auch das nötige Wissen und die nötigen Fähigkeiten haben.»

«Es gibt ein neues Bewusstsein dafür, dass Monitoring und Evaluation zentral sind, um Entwicklung messbar und Fortschritte sichtbar zu machen.»

– Candice Morkel

In Afrika seien in den letzten 15 Jahren in vielen Regierungsbehörden Abteilungen für Monitoring und Evaluation aufgebaut worden, sagt sie. Das sei auch eine Folge der 17 UN-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals; SDGs), welche die Vereinten Nationen im Jahr 2015 proklamiert hatten, um Armut und Hunger zu bekämpfen. Seither müssen die Staaten den Vereinten Nationen in New York jährlich einen Bericht vorlegen, der die Fortschritte bei der Erreichung dieser 17 Ziele dokumentiert. «Es gibt ein neues Bewusstsein dafür, dass Monitoring und Evaluation zentral sind, um Entwicklung messbar und Fortschritte sichtbar zu machen», sagt Morkel. Das sei auch ein Gewinn für die Zivilgesellschaft: «Sie kann die Regierung basierend auf diesen Daten für Fehlverhalten zur Rechenschaft ziehen.»

Problematische Budgetkürzungen der Entwicklungszusammenarbeit

Was Stefanie Krapp und Candice Morkel derzeit Sorgen bereitet, sind die Budgetkürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit, auch in der Schweiz. Das Budget der DEZA soll zugunsten der Ukrainehilfe und des Militärbudgets um Milliarden gekürzt werden. «Die Auswirkungen sind für uns unmittelbar spürbar», sagt Krapp. Bilaterale Entwicklungsorganisationen hätten weniger Geld und Regierungen im Globalen Süden könnten weniger in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investierten. «Dabei müsste in Krisenzeiten noch mehr Wert auf Evaluierung gelegt werden, um die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.» Hinzu komme die verschärfte Visapolitik in der Schweiz: «16 potenzielle Teilnehmende konnten nicht kommen, weil sie kein Visum erhielten», erzählt Krapp. Aus Uganda zum Beispiel waren sieben Personen fürs Programm qualifiziert, aber nur zwei durften einreisen. «Solche Probleme hatten wir früher viel weniger.»

Lernstoff fürs gesamte Team

Lilian Wawa aus Tansania erhielt ein Visum und freut sich sehr, zu den diesjährigen Teilnehmerinnen zu gehören. Sie ist bei der «Tanzania Wildlife Management Authority» für das Monitoring und die Evaluation von Programmen zur Bekämpfung von Wilderei verantwortlich. Sie führt ein Team mit sechs Angestellten und ist zugleich für das Monitoring der Jahres- und Fünfjahrespläne der Behörde betraut. «Ich will meine Arbeit als Gruppenleiterin richtig machen und dafür brauche ich spezifische Fähigkeiten. Diese kann ich mir hier beim IPDET holen», sagt sie. Auch für Wawa ist das Programm die erste formelle Ausbildung im Bereich der Evaluierung.

«Ich bin mit Expertinnen aus Serbien, Mexiko und Aserbaidschan in einer Gruppe und kann viel von ihnen lernen.»

– Lilian Wawa

Neben den Lernblöcken schätzt auch sie den Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt. «Ich bin mit Expertinnen aus Serbien, Mexiko und Aserbaidschan in einer Gruppe und kann viel von ihnen lernen.» Das hier erworbene Wissen wird nicht nur ihr, sondern ihrem gesamten Team zugutekommen. «Ich habe in den ersten zwei Tagen schon viele Power Point-Präsentationen abfotografiert und kommentiert per Whatsapp an mein Team und die Kollegen auf Ministerebene geschickt», erzählt sie. «Das Feedback war: ‹Das ist super! Schickt uns unbedingt noch mehr davon.›»

Über IPDET

Das «International Program for Development Evaluation Training» (IPDET), das dieses Jahr zum siebten Mal in Bern stattfindet, wird von der Weltbankgruppe, vom Zentrum für universitäre Weiterbildung (ZUW) der Universität Bern und vom Centrum für Evaluation (CEval) an der Universität des Saarlandes veranstaltet. 2001 in Kanada gegründet, findet das Programm seit 2018 an der Universität Bern statt. Es besteht aus einem einwöchigen Kernkurs über die Grundlagen der Evaluation, gefolgt von einer Woche mit Workshops zu spezifischen Themen und den neuesten Entwicklungen im Bereich Monitoring und Evaluation. Seit 2020 werden die Workshops auch online angeboten. Teilnehmende aus Organisationen mit begrenzten finanziellen Mitteln, insbesondere aus dem Globalen Süden, können sich für eine finanzielle Unterstützung bewerben, die durch die «Global Evaluation Initiative» der Weltbank bereitgestellt wird. Etwa die Hälfte der insgesamt 167 Teilnehmenden profitiert von einer solchen Unterstützung. Über tausend hatten sich für ein solches «Scholarship» beworben.

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