Julia Richers: Wie politisch hätten Sie es gern?

Wie gelingt es Professorinnen und Professoren, den Diskurs in ihren Lehrveranstaltungen unvoreingenommen und ergebnisoffen zu halten? Und welche Erfahrungen machen sie ausserhalb der Hörsäle mit Versuchen politischer Vereinnahmung? Eine Historikerin bezieht Stellung.

Fake News? Zurück zu den Quellen!

«Der Osten hat früh die Unschuld einer Himmelsrichtung verloren. Die Wurzeln der Osteuropastudien sind hochpolitisch und gehen auf die NS-Ostforschung zurück. Die politische und ideologische Vereinnahmung setzte sich ungebremst im Kalten Krieg fort. Den Cold War Studies und der ‹Kreml-Astrologie› verdanken viele Universitäten ihre grossen Osteuropabibliotheken, so auch wir.

Die problematische Genese meines Faches hat meine Lehre stark geprägt. Als Historikerin lege ich dezidiert den Fokus auf die historischen Wurzeln aktueller Entwicklungen. In der Lehre beschäftigen wir uns etwa gezielt mit der Geschichte der Propaganda, imperialen Strukturen, revolutionären Bewegungen, (Anti-)Kommunismus, (Staats-)Terror und Widerstand. Studierende erhalten so wichtiges Orientierungswissen für die fundierte Einordnung historischer wie aktueller Ereignisse. Ein Beispiel: Auf Putins Krieg und Geschichtsklitterung reagierten wir mit Kursen zur Geschichte der Ukraine oder zu Schlüsseltexten des russischen Nationalismus.
Mein Lehrkonzept lautet ad fontes ‒ zurück zu den Quellen. Fake News und Geschichtspolitik begegnen wir mit Archivarbeit, intensiver Quellenkritik und soliden Sprachkenntnissen zur Auswertung von Originaltexten. In Debatten mit Studierenden ist für mich entscheidend, welche Deutungen ein Quellenkorpus zulässt und wo Belege schlicht fehlen.

Versuche der Vereinnahmung erleben wir sehr häufig: aktuell durch irreführende Vergleiche zwischen Gaza und Ukraine und leider auch in Form von Drohbriefen.»

Zur Person

Julia Richers

ist Professorin für Neueste Allgemeine und Osteuropäische Geschichte sowie Mitdirektorin der Abteilung für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte am Historischen Institut.

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«Startrampe Studium»

Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Studieren»

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