Studium und Berufsfindung
«Karriere ist ein dynamischer und gestaltbarer Prozess»
Mit einer universitären Ausbildung allein gelingt der Berufseinstieg selten: Es braucht auch einen flexiblen Laufbahnplan, Karrierekompetenzen, Proaktivität und die Bereitschaft, stets Neues zu lernen, sagt Andreas Hirschi, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie.
Wer ein Studium beginnt, hat meist noch keine klare Vorstellung vom späteren Berufsalltag. Wann sollte man sich spätestens mit diesem Thema auseinandersetzen?Andreas Hirschi: Man sollte sich laufend damit beschäftigen – vorzugsweise schon im Gymnasium. Zumal die Wahl des Studiums eine vorläufige Berufswahl ist und eine Richtung vorgibt. Im Idealfall beginnt man sein Studium bereits mit einer Idee davon, an welchen Berufen man interessiert ist. Je früher sich Studierende mit diesem Thema auseinandersetzen, desto besser.
Ist es aus Ihrer Sicht notwendig, einen Karriereplan zu entwickeln, und was sollte dieser alles berücksichtigen?Heute geht die Vorstellung dahin, dass man nicht unbedingt einen Karriereplan für die nächsten zehn oder sogar zwanzig Jahre haben muss, insbesondere weil die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Doch es lohnt sich, eine ungefähre Richtung zu kennen, die sich auf Minipläne herunterbrechen lässt. Man sollte sich überlegen, was für den geplanten Weg sinnvolle nächste Schritte sein könnten, um die anvisierten Ziele zu erreichen.
Wie wichtig ist es, im anvisierten Berufsfeld bereits vor oder während des Studiums erste Erfahrungen zu sammeln?Erfahrungen zu sammeln, ist stets von Vorteil. Ob vor oder während des Studiums. Ein wichtiger Teil der Laufbahngestaltung ist es, dass man sich selbst, aber auch sein Berufsfeld gut einzuschätzen vermag. Für beides benötige ich Kenntnisse aus der Berufswelt. Die Selbsteinschätzung basiert zwar auf Selbstreflexion, doch ohne Erfahrung kann ich nicht erkennen, was ich gut kann und was mir gefällt. Berufe und Arbeitswelten kann ich nur fundiert beurteilen, wenn ich diese selbst erlebt habe.
Was gilt es zu bedenken, wenn man während des Studiums ein Praktikum absolvieren kann?Es sollte eine Lerngelegenheit sein und entsprechend ausgewählt werden. Erlaubt mir das Praktikum, verschiedene Tätigkeiten auszuführen? Erhalte ich Einblicke in das gewünschte Feld und dessen diverse Bereiche? Bei der Wahl sollten also der Lerneffekt und die Breite der Lernerfahrungen im Fokus stehen. Ein weiterer wichtiger Punkt von Praktika ist das Netzwerken.
«Berufe und Arbeitswelten kann ich nur fundiert beurteilen, wenn ich diese selbst erlebt habe.
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Andreas Hirschi
Wie gelingt es Studierenden, ihre Karrierepläne flexibel zu gestalten, um sich auf verschiedene berufliche Szenarien vorzubereiten?In diesem Punkt ist es sicher hilfreich, sich möglichst an seinen eigenen Werten zu orientieren: Was ist mir wichtig? Wie möchte ich eigentlich arbeiten? Essenziell ist zudem, dass man sich eigene Meilensteine setzt. Hierfür sollte man in regelmässigen Zeitabständen überprüfen, ob die gesteckten Ziele noch passend sind. Zumal es nicht auszuschliessen ist, dass sich zwischenzeitlich andere Zukunftswünsche ergeben haben. Folglich sollte man möglichst flexibel bleiben und nicht unter allen Umständen an seinen ursprünglichen Karriereplänen festhalten.
Welche Karrierekompetenzen sollten Studierende unbedingt erwerben, um sich auf eine erfolgreiche berufliche Laufbahn vorzubereiten?Es gibt vier Bereiche von Kompetenzen, über die man verfügen sollte und die dazu beitragen, die eigene Karriere möglichst erfolgreich zu gestalten: Zuerst ist da die Fähigkeit, sich Ziele setzen zu können. Zweitens sollten Studierende fähig sein, sich zu überlegen, was sie beim Erreichen ihrer Ziele unterstützt und was ihre Ressourcen sind. Als Drittes ist die Fähigkeit zu nennen, verschiedene Verhaltenspläne umzusetzen. Der vierte und letzte Kompetenzbereich betrifft die Fähigkeit des Überprüfens.
Der Reihe nach: Wie merkt man, ob man gut darin ist, sich Ziele zu setzen?Wenn man sich darüber im Klaren ist, was man möchte, wo die eigenen Interessen liegen und über welche Stärken man verfügt. Man entwickelt eine Vorstellung davon, was es bedeutet, in einem bestimmten Beruf zu arbeiten und welche Kompetenzen dafür notwendig sind. Welche Art von Arbeiten gilt es dort zu erledigen, und welches ist der generelle Arbeitskontext? Um dies beantworten zu können, sind gute Selbstkenntnis und eine Kenntnis der Arbeitswelt erforderlich.
Was sind – zweitens – mögliche Ressourcen, um seine Ziele zu erreichen?Dies können interne Dinge sein, wie meine Eigenschaften und Fähigkeiten, aber auch externe Unterstützung durch Menschen und Organisationen. Um seine Ziele zu erreichen, sollte man sich zudem mit der Frage beschäftigen, auf welche Art und Weise sich diese Ressourcen anwenden lassen und wie mit Hindernissen umzugehen ist.
Was verstehen Sie – drittens – unter der Umsetzung von Verhaltensplänen?Auch hierbei sollte man es meistern können, Ziele und Vorhaben zu formulieren. Im sozialen Bereich sollten Studierende über die Kompetenz verfügen, Netzwerke aufzubauen, diese zu aktivieren und zu pflegen. Und fähig sein, anderen Personen – etwa im Rahmen eines Praktikums – einen guten Eindruck von sich selbst zu vermitteln.
Magazin uniFOKUS
«Startrampe Studium»
Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Studieren»
uniFOKUS als Magazin abonnierenSchlicht um erkennen zu können, ob man sich noch auf dem richtigen Weg befindet.
Wie realistisch ist es, dass sich die Studierenden derart akribisch und fokussiert mit ihrer Karriere beschäftigen?Es ist wichtig, zu verstehen, dass Karriereentwicklung ein dynamischer, offener Prozess ist – ein Lernprozess. Die Vorstellung, dass es darum geht, ein Ziel zu haben und dieses zu erreichen, erzeugt Stress und entspricht häufig nicht der Realität. Dies, weil sich zu viele Dinge kontinuierlich verändern. Im Vordergrund sollte stehen, sich weiterzubilden und sich zu entwickeln. Und in dieser Zeit ein möglichst gutes Leben zu leben.
Unter Karriereressourcen versteht man alle jene Faktoren, die Studentinnen und Studenten zur Verfügung stehen, um ihre Laufbahn weiterzuentwickeln. Welche sind entscheidend, um den Übergang ins Berufsleben erfolgreich gestalten zu können?Hierbei sind drei Kernbereiche zu nennen: Da ist die Ressource «Wissen und Kompetenzen», mit der unter anderem fachliche Kompetenzen gemeint sind, die sich im Rahmen des Studiums erwerben lassen. Gemeint sind damit jedoch auch transversale Kompetenzen – wie die Fähigkeit, zu präsentieren oder in einem Team arbeiten zu können. Dazukommen sollte Wissen über den Arbeitsmarkt. Was für Berufsmöglichkeiten und Trends gibt es?
Reicht dies nicht bereits aus, um seine Karriereziele realisieren zu können?Nein, dafür braucht es zwei weitere Kernbereiche: zunächst die motivationalen Ressourcen, womit psychologische Faktoren gemeint sind. Traue ich mir überhaupt zu, meine Ziele zu erreichen? Wie wichtig sind mir Arbeit und Beruf? Je deutlicher ich weiss, was ich möchte, und mir auch zutraue, dies zu erreichen, desto mehr hilft mir das. Der dritte und letzte Bereich betrifft die sogenannten Umweltressourcen. Worunter all jene Aspekte zu verstehen sind, die mich im Kontext unterstützen. Das können soziale, berufliche oder private Beziehungen sein. Oder Ressourcen aus dem Unternehmen, in dem ich arbeite oder ein Praktikum absolviere. Werde ich dort gefördert, kann ich etwas lernen, kann ich mich weiterentwickeln? Je stärker diese drei Kernbereiche ausgeprägt sind, desto besser werde ich meine Laufbahnziele erreichen können.
Oft wird geraten, frühzeitig selbst aktiv zu werden. Für wie sinnvoll erachten Sie es, Kontakt zu relevanten Personen in Unternehmen aufzunehmen, für die sich Studierende interessieren?Die Laufbahnforschung zeigt, dass Proaktivität von grosser Bedeutung ist. Aus meiner Sicht empfiehlt es sich, bereits während des Studiums aktiv zu werden, obschon man dies per se nicht muss. Dazu kann auch gehören, Netzwerke aufzubauen. Nicht zuletzt zu Personen, die in einem Bereich tätig sind, für den man sich interessiert. Etwa indem ich abkläre, ob sich dort ein Praktikum absolvieren lässt.
Wie unterscheidet sich die Vorbereitung auf eine erfolgreiche Karriere in einem sich schnell verändernden Arbeitsumfeld von althergebrachten Karrierewegen?Die alte Vorstellung war: Ich packe mir den Rucksack früh im Leben – etwa mit einem Studium. Dabei erwerbe ich die nötigen Kompetenzen, und schon geht die Karriere los. Die moderne Ansicht ist, dass dieser Prozess deutlich dynamischer verläuft. Und das, was man im Studium lernt, ist nicht selten rasch veraltet. Was kein Problem ist. Weil man sich heute laufend anpasst und stets Neues lernt. Es ist ein Prozess, der allerdings sehr stark von der eigenen Gestaltung abhängt – und das mehr denn je.
Zur Person
Andreas Hirschi
ist Ordentlicher Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bern. Er forscht zu den Themen Berufswahl, Karriereentwicklung und Laufbahnberatung. In der Lehre bietet er unter anderem anwendungsorientierte Seminare zur Laufbahngestaltung an.
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