Kleines Präzisionswunder im Orbit

Ein neuer Kleinsatellit der ESA schliesst Lücken in der Wetterbeobachtung. Roland Albers erklärt, wie die Universität Bern mit einem Mikrowellenradiometer, dem einzigen Instrument an Bord des Satelliten, zu genaueren Wettervorhersagen beiträgt.

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Was versuchen Sie herauszufinden?

Roland Albers: Der Arctic Weather Satellite AWS – ein Projekt der europäischen Weltraumorganisation ESA – ist etwa so gross wie eine Waschmaschine und wiegt 125 Kilogramm. Der kleine Satellit trägt nur ein einziges Instrument, ein Mikrowellenradiometer, das die elektromagnetische Strahlung in der Atmosphäre misst. Daraus kann man Rückschlüsse hinsichtlich der Temperatur oder dem Wassergehalt der Atmosphäre ziehen. Diese Variablen sind wichtig für die numerischen Modelle, auf denen unsere Wettervorhersagen basieren. Der AWS soll später von Wetterdiensten für Vorhersagen genutzt werden. Das unter Mitwirkung der Universität Bern entwickelte Radiometer selbst ist kleiner und einfacher als vorherige Modelle. Teil der Mission ist es, zu beweisen, dass es genauso gute Daten wie seine Vorgänger liefern kann. Falls das gelingt, werden noch 20 weitere Modelle gebaut.

Wieso ist das aus wissenschaftlicher Sicht wichtig?

Mikrowellenradiometer beeinflussen die Genauigkeit unserer Wettervorhersagen und sind nützlich für Langzeit-Klimastudien. Allerdings sind im Moment nur wenige Radiometer in der Umlaufbahn. Sie sind meist Teil grosser Wettersatelliten und damit von sehr teuren, langjährigen Projekten. Europa beispielsweise hat zurzeit nur zwei Mikrowellenradiometer im Orbit. Ihre Messungen werden mit anderen öffentlich verfügbaren Daten kombiniert. Falls AWS erfolgreich ist, wird daraus die Konstellation EPS-Sterna gebaut. Sie wird aus sechs AWS bestehen, die gleichzeitig auf drei verschiedenen Bahnen fliegen und innerhalb von fünf Stunden 90% der Erde abdecken. Das wäre ein grosser Sprung in der Datenverfügbarkeit.

Was für ein Nutzen für die Gesellschaft könnte daraus resultieren?

AWS und EPS-Sterna werden es ermöglichen, etwa alle zwei Stunden Messungen in den höheren Breitengraden durchzuführen, daher der Name Arctic Weather Satellite. Die Daten werden innerhalb von 15 Minuten nach der Messung zur Verfügung stehen. Das wird zum Beispiel nützlich sein, um Stürme live zu verfolgen oder besser vorhersagen zu können. EUMETSAT – die Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten – hat ausserdem Studien zum gesellschaftlichen Nutzen der Satelliten veröffentlicht. Darin heisst es, dass EPS-Sterna unsere Wettervorhersagen um 6% verbessern wird und der wirtschaftliche Nettonutzen bei über 30 Milliarden Euro liegt.

Was fasziniert Sie persönlich an diesem Forschungsprojekt?

Mir war vorher nicht bewusst, wie viele Menschen aus verschiedenen Disziplinen eigentlich an unseren Wettervorhersagen beteiligt sind. Neben mir und meinen Kollegen in der Mikrowellengruppe, die Instrumente bauen, betreiben andere Grundlagenforschung über die Atmosphäre, die dann in die Modelle einfliesst, mit denen wir unsere Wettervorhersagen berechnen. Mit weiteren Messungen werden diese Modelle bestätigt oder verglichen. Und zu all dem kommt natürlich noch die allgemeine Komplexität der Raumfahrt. Ich habe selbst viele Simulationen gemacht, und es ist sehr aufregend, jetzt erste Daten des AWS mit diesen zu vergleichen. Ausserdem ist es total cool zu wissen, dass etwas, an dem ich gearbeitet habe, jetzt da oben herumfliegt.

Was ist die grösste Herausforderung, die es zu überwinden gilt?

Normalerweise dauert die Entwicklung solcher Wettersatelliten zehn Jahre oder länger, und man hat mehr Zeit für die Qualifikation und das Testen von Komponenten. Das AWS-Projekt dauerte insgesamt weniger als vier Jahre und war für uns sehr intensiv. Wir haben hier auch selbst Komponenten gebaut und für das Radiometer geliefert. Da war es zum Beispiel schwierig zu wissen, wo man bei der Qualifizierung sparen kann, ohne das Risiko der Mission unnötig zu erhöhen. Ausserdem stand für das Projekt auch ein kleineres Budget zur Verfügung als für andere Satelliten. Man muss sehr kreativ sein, um mit einem Bruchteil der Mittel eine ähnlich gute Qualität zu erreichen.

Wie ist das Forschungsprojekt finanziert?

Das AWS-Projekt wird von der ESA finanziert, also mit Steuergeldern europäischer Länder, inklusive der Schweiz. Wir selbst – die Mikrowellengruppe am Institut für Angewandte Physik IAP – respektive der Industriepartner, der das Radiometer gebaut hat, haben das Geld also über die ESA bekommen. Die EPS-Sterna wird ebenfalls über ESA beziehungsweise EUMETSAT finanziert werden. Das Tolle an der Finanzierung durch öffentliche Mittel ist, dass die Daten und viele der Reports öffentlich zugänglich sein müssen. Interessierte finden unter www.copernicus.eu viele Informationen über den Einsatz von öffentlichen Mitteln für Earth Observation, zumindest für Europa.

Zur Person

Roland Albers

ist Physik-Doktorand in der Gruppe Microwave Physics am Institut für Angewandte Physik der Universität Bern. Er befasst sich mit elektromagnetischen Simulationen für Mikrowellenradiometer und der Konstruktion von Kalibrationskomponenten. Diese Fernerkundungsinstrumente werden hauptsächlich für die Wettervorhersage und Klimaforschung genutzt, aber auch bei interplanetarischen Missionen. Vorher hat Roland Albers in England für eine Privatfirma an ähnlichen Kalibrationskomponenten gearbeitet.

Kontakt: 

roland.albers@unibe.ch

Mikrowellen und Laser

Forschung am Institut für Angewandte Physik der Universität Bern

Das Institut für Angewandte Physik IAP wurde 1961 gegründet und gehört zur Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. Es betreibt Forschung in den sich rasant entwickelnden Gebieten der Photonik und der Angewandten Physik. Forschungsprojekte umfassen etwa ultraschnelle Phänomene, Mikrowellen, biomedizinische Photonik, Laser- und auch Umweltforschung.
Das IAP ist wegen seiner Expertise an zwei Kompetenzzentren der Universität Bern beteiligt, dem Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) und dem Center for Space and Habitability (CSH), und engagiert sich in zahlreichen weiteren nationalen und internationalen Projekten. 

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