Land und Wasser schützen in Äthiopien

Trockenheit und Starkregen – diese Mischung gefährdet die Lebensgrundlagen im äthiopischen Hochland. Seit 1981 erarbeiten Forschende aus Bern und Äthiopien gemeinsam mit der Bevölkerung Lösungen. Nun wird der Ansatz im Rahmen eines «Clusters für Forschungsexzellenz» auf weitere Regionen ausgeweitet.

Text: Gaby Allheilig 03. September 2024

Einst machten sie den Reichtum Ägyptens aus. Heute sind sie zur Herausforderung geworden: das Wasser und der mitgeführte Schlamm des Blauen Nil. Denn Wasser ist am Blauen Nil oft knapp – oder aber geht während der Regenzeit in sintflutartigen Regenfällen nieder. Zwischen Juni und September führt der Fluss, der im Hochland von Äthiopien entspringt, bis zu 60-mal so viel Wasser wie in der Trockenzeit.

Der Blaue Nil führt fruchtbare Erde ab. Foto: Tatenda Lemann

Erosion – die Spirale nach unten

Was das bedeutet, zeigen die Messdaten von Forschenden des Centre for Development and Environment (CDE) und des Water and Land Resources Centre (WLRC) von 2016: «Wir haben zum Beispiel in einem rund 5000 Hektar grossen Wassereinzugsgebiet gemessen, dass in einem Jahr über 100 000 Tonnen Boden in den Fluss geschwemmt wurden», sagt CDE-Wissenschaftler Tatenda Lemann, damals noch Doktorand an der Universität Bern. Das entspricht rund 2500 Lastwagen voller Erde. «Im Durchschnitt sind das über 20 Tonnen pro Hektar, auf einzelnen Feldern also noch mehr», so Lemann.

Besonders gut sichtbar ist das Resultat der Erosion während der Regenzeit an den zweitgrössten Wasserfällen Afrikas: Tisissat («Rauchendes Wasser»). Der Blaue Nil stürzt hier 42 Meter in die Tiefe und führt die oberste, nährstoffreiche Bodenschicht ab.

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Diese massive Sedimentfracht während der Regenzeit gefährdet nicht nur Wasserkraftwerke und Staudämme am Unterlauf. Durch die Bodenerosion sinken auch die Ernteerträge am Oberlauf des Blauen Nil. Das wiederum führt zu einer Ausdehnung der Agrarflächen zulasten von ökologisch wertvollen Wäldern, Grasland und einzigartigen Feuchtgebieten. Ein Teufelskreis, der immer wieder zu Konflikten zwischen verschiedenen Volksgruppen, aber auch mit Anrainerstaaten führt.

Innovationen – Schritt für Schritt

Aber es geht auch anders. Das zeigen die Resultate einer langjährigen Forschungspartnerschaft Schweiz – Äthiopien. Ab 1981 haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des CDE gemeinsam mit äthiopischen Partnern Schritt für Schritt lokal angepasste und nachhaltige Innovationen aufs Feld gebracht.

Meteorologische Daten werden an einer Messstation heruntergeladen. Foto: Tatenda Lemann

Nach dem Aufbau eines meteorologischen und hydrosedimentologischen Monitoringsystems wurden die Daten – ergänzt mit Geodaten und sozioökonomischen Angaben – aufbereitet und laufend aktualisiert. Dieses Datenpaket steht seit 2013 als Online-Plattform interessierten Kreisen offen, ergänzt durch Informationsprodukte (siehe Box).

«Wichtig war auch, dass wir die wichtigen Interessengruppen einbezogen und sie zu aktiven Beteiligten gemacht haben: Bauernfamilien, lokale Gemeinschaftsorganisationen, landwirtschaftliche Berater, Forschende und politische Entscheidungsträger», sagt WLRC-Direktor Gete Zeleke rückblickend. Im regelmässigen Erfahrungsaustausch seien viele zukunftsweisende Ideen und Vorschläge entstanden. So wurden neue Praktiken der Land- und Wasserbewirtschaftung eingeführt, mit lokalem traditionellem Wissen kombiniert und 18 sogenannte «Learning Watersheds» eingerichtet. Das Ziel: die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu diversifizieren und gleichzeitig für gesunde Ökosysteme zu sorgen.

Gemeinsam anpacken für Lösungen. Foto: Gete Zeleke

«Learning Watersheds» – der zentrale Baustein

Diese Wissens- und Schulungszentren haben sich laut Gete Zeleke als das A und O für den Erfolg dieses Ansatzes herausgestellt: «In den Learning Watersheds testen wir die besten Praktiken, um die natürlichen Ressourcen und die landwirtschaftliche Produktion zu erhalten sowie die Lebensgrundlagen zu verbessern.» Das so gewonnene Wissen wird verbreitet und fliesst in Verhandlungen, Planungsprozesse, Umsetzung und Konfliktlösungen ein.

Die Learning Watersheds führen anschaulich vor Augen, wie sich die Bodenerosion eindämmen und Böden wieder aufwerten lassen. So etwa im Zentrum von Debre Yakob. Innerhalb von drei Jahren wurde hier das vormals von tiefen Erosionsgräben und degradierten Hängen gezeichnete Land wiederhergestellt.

Vorher-Nachher-Vergleich: Wiederhergestelltes Land in Debre Yakob. Foto: Gete Zeleke

Diversifizierte Landwirtschaft – neue Perspektiven

Böden, Umwelt und Verfügbarkeit von Wasser sind in den Learning Watersheds wieder im Lot. Der Bevölkerung, die mehrheitlich von der traditionellen Subsistenzlandwirtschaft lebt, hat dies neue Perspektiven eröffnet. «Wird das Wassereinzugsgebiet sachgemäss bewirtschaftet, können die Bauernfamilien auf ihrem Land nicht nur die Erträge wieder steigern, sondern auch die landwirtschaftlichen Produkte diversifizieren», erläutert CDE-Wissenschaftlerin Isabelle Providoli.

Mais und Früchte: diversifizierte Produktion. Foto: Gete Zeleke

Internationales Interesse

Das Wissen, wie sich die Situation im äthiopischen Hochland verbessern lässt, hat seine Kreise gezogen. Hunderte von Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Leute aus der Praxis wurden inzwischen entsprechend aus- und weitergebildet.

Auch internationale Geber wie das Welternährungsprogramm der UNO, die Weltbank, die EU, die staatliche Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz, Norwegens, Hollands und Deutschlands sowie weitere Akteure zeigten sich interessiert und haben in das Unterfangen investiert. Das Resultat: Die boden- und wasserkonservierenden Massnahmen haben bis 2019 rund 7,7 Mio. Hektar im äthiopischen Hochland abgedeckt, rund 23 Prozent der Böden, die dort wiederhergestellt werden müssen.

Ochsengespanne pflügen wiederhergestelltes Land. Foto: Isabelle Providoli

Herausforderungen bleiben komplex

Doch selbst wenn die gesamte Fläche rehabilitiert wäre, ist die Geschichte nicht zu Ende. «Eine Lektion, die wir punkto Wasser- und Landmanagement in all den Jahren gelernt haben: Es hört nicht auf», so Gete Zeleke. «Es tauchen immer komplexere und miteinander verflochtene Herausforderungen auf, für die wir nachhaltige Lösungen brauchen.» Ein Beispiel dafür ist die Ausdehnung der Städte in umliegendes Landwirtschaftsland. Das erfordert neue Forschungs- und Lösungsansätze.

An diesem Punkt setzt der neue multinational ausgerichtete Forschungscluster «Nachhaltige Bewirtschaftung der Wasser- und Bodenressourcen für das menschliche Wohlergehen» an, den die African Research Universities Alliance (ARUA) und The Guild of European Research-Intensive Universities (The Guild) vergangenes Jahr als einen von 20 Exzellenzclustern ausgewählt haben. Dieser baut auf den Erfolgen der 40-jährigen Zusammenarbeit auf: «Wir wollen die Erfahrungen der Learning Watersheds weiterentwickeln und mit unseren internationalen Partnern auf verschiedene Länder, Landschaften, Kulturen und institutionelle Systeme anpassen und ausweiten», sagt CDE-Direktor Thomas Breu.

Wasser und Land: zentrale Herausforderungen für die Menschheit

Denn die nachhaltige Nutzung von Land und Wasser sowie die langfristige Erhaltung von Ökosystemen und Landschaften in Verbindung mit den Auswirkungen des Klimawandels sind laut Breu zu einer der zentralen Herausforderungen für die Menschheit geworden: «Heute sind bis zu 40 Prozent des weltweiten Bodens degradiert.» Zudem wird bis 2030 etwa die Hälfte der Weltbevölkerung in Gebieten mit Wasserknappheit leben. «Diese Herausforderungen müssen wir mit der richtigen Mischung aus traditionellem und wissenschaftlichem Wissen angehen, wenn wir eine lebenswerte Zukunft haben wollen – in Afrika, Europa und anderswo.»

Veranstaltungshinweis

Collegium generale

Die Vielfalt von Afrika steht im Zentrum der Ringvorlesung des Collegium generale im Herbstsemester 2024. Von den 14 öffentlichen Vorträgen befassen sich zwei mit nachhaltigem Ressourcenmanagement:

9. Oktober

Titel noch offen

Prof. Dr. Chinwe Ifejika Speranza, Geography, University of Bern, Switzerland

 

18. Dezember

Das Drama der geraubten afrikanischen Gemeingüter (Commons): 

Koloniale Hinterlassenschaften, Degradierung von Kulturlandschaften und lokale Alternativen

 

Prof. Dr. Tobias Haller, Social Anthropology; Centre for Development and 

Environment, University of Bern, Switzerland

 

Das ganze Programm und Veranstaltungsdetails finden Sie unter

Magazin uniFOKUS

«Afrika»

Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Afrika»

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