Politkolumne
Umgang mit Rechtspopulisten: Einbinden oder ausgrenzen?
Autoritär-populistische Parteien wie die AfD in die Regierung zu integrieren, heisst: Normalisierung extremer Positionen, weniger Freiheitsrechte, Gefährdung der Demokratie.
In Frankreich schlossen das Macron-Lager und die sonst heillos zerstrittene französische Linke einen Pakt gegen das Rassemblement National. Das Ziel? Gerade noch zu verhindern, dass Le Pens politischer Ziehsohn Premierminister wird. Die niederländischen Liberalen entschieden sich hingegen für ein Koalieren mit Wilders Rechtspopulisten. Nun regiert in den Niederlanden erstmals eine Rechtsaussenregierung.
Ausgrenzen oder einbeziehen? «Brandmauer» oder «pragmatische Zusammenarbeit»? Vor diese politische Schicksalsfrage sind zurzeit auch die Parteien in drei ostdeutschen Ländern gestellt. Sie müssen ihren Umgang mit der AfD klären, die in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt längst als gesichert rechtsextrem gilt. Was tun im Umgang mit Rechtspopulisten?
Unerfüllte Hoffnung auf Entzauberung
Immer wieder heisst es: Wir müssen sie in die Regierungsverantwortung einbinden! Rechtspopulisten dauerhaft davon auszuschliessen, sei undemokratisch. Ein «Unvereinbarkeitsbeschluss» wie jener der CDU gegen die AfD spiele dem Populismus geradezu in die Hände. Höcke & Co könnten so eine Art Opferkult pflegen: Seht her, die «Altparteien» «paktieren», um uns auszugrenzen. Das wiederum entfache Wut, mobilisiere die Basis und verhelfe demokratiefeindlichen Parteien in den Umfragen zu weiteren Höhenflügen.
Wer nach Einbindung verlangt, mag argumentieren, dass das «Experiment Regierungsbeteiligung» bisher «nur» in weniger als zehn Prozent der zwischen 1989 und 2018 in Europa regierenden Koalitionen gewagt worden sei. Auch wird gerne auf das anekdotische Beispiel Österreichs verwiesen. Dort wurde 2000 eine der europaweit ersten Rechtsaussenregierungen der Nachkriegszeit vereidigt. Allerdings habe sich Haiders FPÖ als zum Regieren unfähig erwiesen – vor den Augen angeblich enttäuschter Wählenden.
Nicht nur droht die FPÖ 22 Jahre später zur stärksten Kraft aufzusteigen, was die Hoffnung auf «Entzaubern durch Regieren» enttäuscht. Auch die Politikwissenschaft zeigt einhellig: keine Einbindung ohne massive Risiken.
Selbst die Demokratie steht auf dem Spiel
Erstens beeinflusst Einbindung die ganz konkrete Ausgestaltung öffentlicher Politik. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Migrationspolitik: Sobald rechtspopulistische Kräfte in ein Parlament einziehen, nehmen die etablierten Parteien migrationsskeptischere Positionen ein. Geradezu verheerend ist die wirtschaftspolitische Bilanz: 15 Jahre nach dem Regierungseintritt liegt das reale BIP eines Landes ganze zehn Prozent niedriger. Wo Populisten regieren, sinken Wirtschaft und Konsum. Und es wächst die Schere zwischen Arm und Reich.
Zweitens führt Regierungsbeteiligung zum Abbau bürgerlicher Freiheitsrechte. Das Recht auf freie Meinungsäusserung, Religionsfreiheit, fairen Zugang zu Gerichten und Schutz vor Diskriminierung werden selbst dann weniger, wenn rechtspopulistische Parteien in einer Koalition «nur» Juniorpartnerin sind. Es ist paradox: Rechtspopulisten klagen, dass man dieses und jenes «ja kaum mehr sagen dürfe». Doch oft sind sie es, die die Meinungsfreiheit aktiv einschränken.
Drittens gefährdet das Einbinden autoritär-populistischer Kräfte die Demokratie insgesamt. Nur selten formulieren sie ihre autoritären Gelüste so plump wie Donald Trump, der versprach, dass die nächsten Wahlen «die letzten Wahlen» sein würden. Rechtspopulisten gehen meist viel unauffälliger vor. Sie arbeiten «mit dem Recht, nicht gegen das Recht», wie es der deutsche Jurist Maximilian Steinbeis beschreibt. Sie zielen auf die offenen Flanken der demokratischen Verfassung; drehen an vermeintlich technischen, unauffälligen Stellschrauben. Wie schnell Rechtsstaat und Demokratie mit legalen Mitteln untergraben werden können, zeigen Polen und Ungarn.
Auch das sogenannte «Thüringen-Projekt» hat minutiös nachgezeichnet, wie verletzlich die Thüringer Rechts- und Verfassungsordnung ist, sobald eine autoritär-populistische Partei wie die AfD staatliche Machtmittel an die Hand bekommt.
Ein Schweizer Ausweg aus dem Dilemma?
Kritik am «Bollwerk gegen rechts» und ein Einbinden, das nicht entzaubert, sondern massive Schäden bringen kann – welche Strategie bleibt? Allein durch Rechtsanpassungen lässt sich die Demokratie nicht retten. Je mehr Sicherheitsventile eingebaut werden (beispielsweise Zweidrittelmehrheiten für Verfassungsänderungen oder die Wahl von Verfassungsrichtern), desto mehr Möglichkeiten bieten sich einer 30-Prozent-Partei wie der AfD, eine wirkmächtige Sperrminorität zu bilden.
Als «dritten Weg» bringen einige Beobachter eine Minderheitenregierung mit flexiblen Mehrheiten ins Spiel: Der in wesentlichen Punkten antidemokratischen AfD soll der Zugang zu Regierungsämtern weiterhin verwehrt werden. Gleichzeitig soll die Brandmauer nicht kategorisch aufrechterhalten werden. Im Landtag solle die CDU dort punktuell mit der AfD zusammenarbeiten, wo sich wie in der Sozial- oder Wirtschaftspolitik inhaltliche Schnittmengen ergeben. Es wäre das in der Schweiz bestens bekannte Prinzip: eine Regierung, die sich ihre Mehrheiten im Parlament fallweise suchen muss. Das mag funktionieren; trägt aber auch zur Normalisierung rechtspopulistischer Positionen bei.
Ausgrenzen oder doch irgendwie zusammenarbeiten: Auf den etablierten deutschen Parteien lastet eine schwere historische Verantwortung. Es war in Thüringen, wo die NSDAP 1930/31 erstmals an der Regierung beteiligt wurde. Goebbels nannte es eine «Probe aufs Exempel».
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Politkolumnen von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus sowie Markus Freitag erscheinen auch im Online-Magazin der Universität Bern uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.