Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»
Sind Sie risikoscheu?
Unser Autor wählt lieber die Sicherheit, statt sich ins Ungewisse zu stürzen. So wie die meisten in der Schweiz. In bestimmten Situationen werden jedoch selbst Vorsichtige wagemutig.
Heute beginne ich mit einem persönlichen Bekenntnis: Ich gestehe, ich bin alles andere als tollkühn, mitnichten ein Draufgänger. 10-Meter-Sprungbrett? Nie bestiegen. Bungeejumping? Einen grossen Bogen darum herum gemacht. Waghalsige Überholmanöver? Kopfschüttelnd immer den anderen überlassen. Börse oder Spekulation? Kopfkissen oder Anleihen. Saron? Fest!
Aber wie sieht es bei Ihnen aus? Wo stehen Sie im Spiel Chance gegen Sicherheit? Zocken Sie vielleicht gern und suchen den Nervenkitzel? Gehen Sie gelegentlich ein Wagnis mit der Aussicht auf einen satten Gewinn ein? Auch auf die Gefahr hin, am Ende mit leeren Händen dazustehen? No risk, no fun? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt?
Der Umgang mit Risiko beschäftigt die Menschheit seit Anbeginn ihrer Geschichte. Der Begriff selbst kommt aus dem Altpersischen und bedeutet so viel wie «eine gefährliche Klippe umschiffen». Er steht für alle Verhaltensweisen und Ereignisse mit ungewissem Ausgang, ganz egal, ob das Ergebnis letztlich günstig oder ungünstig ausfällt.
Nur ein Fünftel der Bevölkerung ist extra risikobereit
Freilich ist zwischen subjektivem und objektivem Risiko zu unterscheiden. Während letzteres rein rational anhand von Fakten und Statistiken eingeschätzt werden kann, wird ersteres allein gefühlsmässig bestimmt. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, weitaus geringer ist als jene, bei einem Verkehrsunfall zu verunglücken. Trotzdem schlendern die wenigsten beschwingt die Gangway zum Flieger hinauf.
Neueren Studien zufolge ist die Bereitschaft, Risiken einzugehen, ein weitgehend stabiles Merkmal unserer Persönlichkeit. Frühere Erfahrungen und die Lebensumstände im Allgemeinen lassen das Pendel des Wagemuts bei kniffligen Entscheidungen jedoch immer wieder einmal ungleich ausschlagen. Die Suche nach prickelnden Erlebnissen und die Lust auf Sensationen verführen beispielsweise gerade junge Menschen viel mehr dazu, Risiken einzugehen.
Auch verhalten wir uns in Gesellschaft meist leichtsinniger. Und dass gerade missliche Lagen zu erhöhter Risikobereitschaft führen, erklären die Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky mit unserer Neigung zur Verlustaversion: Es macht uns mehr zu schaffen, etwas zu verlieren, als etwas zu gewinnen. Steht für uns noch etwas auf dem Spiel, ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Befinden wir uns dagegen mit einem Bein am Abgrund, gehen wir ohne grosse Bedenken all-in und setzen alles auf eine Karte. Kurz: Der Mensch ist nur risikoscheu, solange es einen Besitzstand zu verteidigen gilt.
Wagemutige vertrauen dem Bundesrat
Eigene Auswertungen des Schweizer Haushalt-Panels zeigen, dass sich in den letzten Jahren selten mehr als rund ein Fünftel der hiesigen Bevölkerung zu einer erhöhten Risikobereitschaft bekennt. Dabei wird deutlich, dass die Frauen immer ein wenig risikoscheuer sind als die Männer. Und je älter wir werden, desto weniger wagen wir. Darüber hinaus zeigen die Zahlen: Wer in der Schweiz das Spiel mit dem Feuer liebt, vertraut den Mitmenschen und dem Bundesrat, ist politisch interessiert, hält zur Demokratie und neigt auch zum gesellschaftlichen Engagement. Zudem tummeln sich besonders Wagemutige gern in politischen Parteien.
Wenn Sie jetzt wachgerüttelt sind und gern etwas risikofreudiger durchs Leben gehen möchten, kann es übrigens helfen, die Nacht zum Tag zu machen. Denn die Neigung zu riskanterem Verhalten steigt bei all denen, die immer auf Achse sind und ständig zu wenig Schlaf bekommen. Dann also nichts wie raus aus den Federn! Statt dem Spatz in der Hand, winkt die Taube auf dem Dach.
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch im uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.
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