Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»
Sind Sie ein Migros- oder ein Coop-Kind?
Die Antwort darauf sagt vielleicht mehr über Sie aus, als Sie denken.
Machen wir heute einmal ein Gedankenexperiment: Wenn Sie spontan Auskunft über sich geben müssten, was würden Sie auf jeden Fall erwähnen? Vielleicht Ihr Geschlecht? Oder Ihr Alter? Vielleicht Ihre Nationalität oder auch Ihren Wohnort? Und dann: Was fällt Ihnen zu diesen Kategorien ein? Wie fühlen Sie sich dabei? Aufgepasst: Ihre Antworten gehen ans Eingemachte, denn sie spiegeln Ihre soziale Identität wider.
Während die persönliche Identität Eigenschaften betont, die uns im Vergleich zu anderen einzigartig aussehen lassen, entwickelt sich die soziale Identität durch Bezüge zur Umwelt. Hier streben wir danach, Teil einer Gruppe zu sein und diese Mitgliedschaft als wichtig und positiv zu erleben. Fühlen wir uns mit einer oder auch mehreren Bezugsgruppen und ihren zelebrierten Verhaltensweisen, Werten und Normen besonders verbunden, entwickeln wir soziale Identitäten, die uns sagen, wer wir sind und wohin wir gehören.
Naheliegende Orientierungen sind oftmals das Geschlecht, das Alter oder auch die nationale Zugehörigkeit. Hierzulande werden gern noch geografische Bindungen ins Feld geführt, um sich diesseits und jenseits gewisser Polenta-, Rösti-, oder Stadt-Land-Gräben zu platzieren.
Stolz darauf, Zürcher, Berner oder Baslerin zu sein
Mit anderen Worten: Messen wir beispielsweise dem Wohnort oder der Region einen hohen Wert bei, dann präsentieren wir uns wahrscheinlich mit Überzeugung als Stadtmensch oder auch als Landei, sind stolz darauf, Zürcher, Berner oder Baslerin zu sein. Die Gewissheit, immer bei den richtigen zu stehen, wird dabei durch den ständigen und bisweilen abwertenden Blick nach aussen vermittelt. Denn im Vergleich mit den anderen schneidet die eigene Horde immer besser ab.
Eigene Auswertungen aktueller Befragungen zeigen, dass hierzulande vor allem Geschlecht, Nationalität und Sprache und weniger Religion, Hautfarbe, Gesellschaftsschicht und Alter wichtige Merkmale der Kategorisierung sind. Für 55 Prozent ist es beispielsweise sehr wichtig, sich als Mann oder Frau zu identifizieren. Bei rund 15 Prozent spielt die Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht indes keine grosse Rolle. Etwa die Hälfte der Bevölkerung schreibt zudem der Nationalität eine besondere Bedeutung zu und etwas mehr als ein Drittel hebt die Sprache als relevantes Kriterium hervor.
Allerdings sind die Vorlieben für solche Identitätsmerkmale in der hiesigen Bevölkerung ungleich verteilt: So gewichten Frauen die einzelnen Attribute generell stärker als Männer. Dazu gilt: Je weiter rechts sich die Menschen hierzulande im politischen Spektrum verorten, desto wichtiger erscheint die Profilierung entlang der genannten Erkennungszeichen. Zudem finden einzelne Merkmale wie Nationalität, Religion, Hautfarbe und Geschlecht in der Romandie weniger Anklang als in der Deutschschweiz.
Schweizer identifizieren sich über Alter und Nationalität, Ausländer über Religion
Und die Schweizerinnen und Schweizer messen dem Alter, der Hautfarbe und der Nationalität eine grössere Bedeutung als die Ausländerinnen und Ausländer bei. Für Letztere zeigt sich hingegen in der Religion ein wichtiges Identifikationsmerkmal.
Starke Gruppen-Commitments bleiben natürlich nicht folgenlos und drücken unseren alltäglichen Befindlichkeiten ihren Stempel auf. Denken wir an die Mitglieder des eigenen Rudels, wird uns oftmals warm um Herz. Werden unsere Gspänli hingegen beleidigt oder eingeschüchtert, dann überkommt uns mithin Unbehagen oder auch Wut.
Wenn Sie jetzt aber glauben, mit solchen Identitäten und Lagerbildungen überhaupt nichts am Hut zu haben, dann erlauben Sie mir zum Schluss noch eine kurze Frage: Wo kaufen Sie denn normalerweise ein? Sind Sie eher ein Migros- oder ein Coop-Kind?
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch im uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.
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