Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»
Neigen Sie zu übermässiger Besorgnis?
Die emotionale Stabilität hat Einfluss auf Beziehungen und das politische Engagement. Ein simpler Selbsttest kann aufzeigen, wie man veranlagt ist.
Verlieren Sie leicht einmal die Fassung? Oder sind Sie eher der gelassene Typ mit einem entsprechenden Ruhepuls, der nur schwer aus dem Tritt zu bringen ist? Trifft Ersteres auf Sie zu, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass Sie eine Veranlagung zu übermässiger Besorgnis in sich tragen.
Diese Wesensart wird in der Psychologie als Neurotizismus oder emotionale Instabilität beschrieben. Sie gehört neben Offenheit, Verträglichkeit, Extraversion und Gewissenhaftigkeit zu den fünf schwer veränderbaren Charakterzügen, die unsere Persönlichkeit ausmachen und die bei manchen Menschen stärker, bei anderen schwächer ausgeprägt sind. Da sie zum Teil angeboren sind, lässt sich auch erklären, warum wir nur schwer aus unserer Haut können.
Menschen mit ausgeprägtem Neurotizismus werden als ängstlich und leicht reizbar beschrieben. Sie reagieren überdurchschnittlich unsicher, nervös oder verlegen und weisen ein erhöhtes Risiko auf, unter Stress das emotionale Gleichgewicht und die Kontrolle über ihre Bedürfnisse zu verlieren und in Hoffnungslosigkeit, Schwermut oder auch Panik zu verfallen. Sie fühlen sich schneller krank und tun sich oft schwer damit, den Lauf der Dinge klaglos hinzunehmen.
Mehr Scheidungen
Emotional stabile Menschen gelten dagegen als ruhig, besonnen, entspannt und sicher. Es ist keine Überraschung, dass Menschen mit hohen Neurotizismuswerten Gefangene ihrer Launen und Unzufriedenheiten sind.
Dies bleibt in der Regel nicht ohne Folgen für ihre Zweisamkeit: Fragt man eine emotional instabile Person, wie sie die Qualität ihrer Beziehung einschätzt, wird sie diese fast immer negativer bewerten als eine Person mit geringerem Neurotizismus. Einzelne Forschungen berichten sogar, dass dieses Persönlichkeitsmerkmal gestresste Eheleute öfter vor dem Scheidungsamt aufschlagen lässt.
Selbsteinschätzungen zufolge attestieren sich rund acht Prozent der Schweizerinnen und Schweizer eine hohe Ausprägung an emotionaler Labilität. Weltweite Umfragen zeigen, dass Neurotizismus in den Nachbarländern Italien und Frankreich stärker und in Deutschland und Österreich weniger verbreitet ist als in der Schweiz.
Vor allem die jüngeren Generationen tragen hierzulande mehr Sorgenfalten im Gesicht als die älteren Kohorten. Und wer finanziell auf Rosen gebettet ist, kennt diesen Charakterzug weniger. Dies gilt auch für Personen, die mehr in ihre Ausbildung investiert haben. Zudem neigen Frauen mehr als Männer und Romands stärker als andere Menschen in diesem Land zu Neurotizismus.
Die guten Seiten: Tatendrang und Hilfsbereitschaft
Schweizerinnen und Schweizern verstellt dieses Wesensmerkmal oftmals den Zugang zur heimischen Politik und Gesellschaft. Emotional instabile Menschen geben auch an, mit Veränderungen der Lebenswelten nur sehr schwer klarzukommen und sich hierzulande wie eine Fremde oder ein Fremder zu fühlen.
Was nun? Interessiert es Sie, wie es um Ihren Hang zu übermässiger Besorgnis bestellt ist? Ein bekannter Kurztest aus der Persönlichkeitspsychologie schlägt in diesem Fall eine Selbsteinstufung zu zwei gegensätzlichen Aussagen vor: «Ich sehe mich als ängstlich, leicht aus der Fassung zu bringen» und «Ich sehe mich selbst als gelassen und emotional stabil».
Gehen Sie die Selbstbeurteilung locker und unaufgeregt an. Denn auch wenn extremer Neurotizismus lähmend wirken kann, ist er in Massen durchaus auch in der Lage, Impulse zu geben. Es hat sich nämlich gezeigt, dass eine Prise dieses Charaktermerkmals neben Tatendrang und Selbstkritik auch ein starkes Bedürfnis auslöst, anderen zu helfen. Denn wer sich Sorgen macht, sorgt sich zumeist auch um deren Lösung.
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch im uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.
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