Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»
Vertrauen Sie der Wissenschaft?
Diese Kolumne feiert ein rundes Jubiläum und stellt aus aktuellem Anlass eine Grundsatzfrage.
Wenn der dreizehnte Tag eines Monats wie heute auf einen Freitag fällt, soll die Gefahr besonders gross sein, dass uns an diesem Tag etwas Schlechtes widerfährt. Und damit meine ich nicht diese Kolumne, die mit dieser Ausgabe ihr Jubiläum feiert. Freitag, die fünfzigste, statt Freitag, der dreizehnte. Statt Verständnis für wissenschaftlich unbegründete und irrgläubige Zusammenhänge und Praktiken zu wecken, verschreiben sich diese Zeilen schon immer der Verbreitung von Kenntnissen, die eng umrissen, überprüfbar und systematisch dokumentiert sind. Denn: Wissen schafft Wert! Gerade am heutigen Feiertag des Aberglaubens.
Regelmässig fühle ich an dieser Stelle der Schweiz den Puls, messe ihre Herzfrequenz und präsentiere methodisch abgesicherte Erkenntnisse über die hiesigen Befindlichkeiten. Meine Informationen dazu beziehe ich weniger aus Zurufen, Anekdoten und Selbsterfahrungen, sondern aus Befragungen von vielen, meist Tausenden von Personen. Zudem greife ich auf Wissen aus Fachzeitschriften und Büchern zurück und verlasse mich auf systematische Beobachtungen oder Experimente, die mir Aufschluss geben. Politikwissenschaft als Beruf. Was halten Sie davon? Und vor allem: Vertrauen Sie überhaupt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern?
Wer nach Albert Einstein eine solche oder ein solcher werden will, denke wenigstens eine halbe Stunde am Tag das Gegenteil von dem, was die Kolleginnen und Kollegen denken. Aber aufgepasst: Wer sich dann wirklich der Wissenschaft hingibt, dem oder der fliegen nicht von allen Seiten die Herzen zu. Distanzieren sich die einen von der Vereinbarkeit von Aktivismus und Forschungstätigkeit, predigen die anderen die gesellschaftliche Verantwortung der ohnehin nicht wertfrei wissenschaftlich Arbeitenden und deren Recht auf freie Meinungsäusserung. Letzteren wird dann aber gleich wieder vorgeworfen, dass sie um den Preis des Verlustes an Unabhängigkeit gerne ihre Wirkung über die Wissensgenerierung stellen. Und Ersteren wird im Umkehrschluss vorgehalten, dass sie sich um konkrete Positionen herumdrücken und sich im Zeitalter der Clickbaits in einem schwer zu verkaufenden, scheinbar aus der Zeit gefallenen Abwägungsprozess befinden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden insbesondere in stürmischen Zeiten ins Rampenlicht gespült, um Empfehlungen und Ratschläge abzugeben. Gerade in Krisenzeiten werden sie jedoch häufig auch zur Zielscheibe von Skepsis und Verschwörungstheorien, da sie als potenziell gefährlich und anfällig für unmoralisches Verhalten wahrgenommen werden.
Jüngste Zahlen aus den USA zeigen beispielsweise, dass das Vertrauen in diese Spezies seit dem Ausbruch der Coronaviren gesunken ist. Hierzulande geniessen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemäss den Zahlen der Schweizer Wahlstudie allerdings einen beeindruckenden Rückhalt in der Bevölkerung. Fast drei Viertel sprechen ihnen grosses Vertrauen aus, mehr noch als dem Bundesrat, dem Parlament oder der Nationalbank. Ganz zu schweigen von den politischen Parteien und den Medien. Dass gerade Letztere immer wieder gerne wissenschaftliche Expertise einholen, ist angesichts dieser Zahlen kaum verwunderlich.
Natürlich vertrauen nicht alle in der Schweiz den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in gleichem Masse. Männer tun dies mehr als Frauen und Menschen in der Deutschschweiz weniger als im Tessin und in der Romandie. Und: Je weiter rechts man sich im politischen Spektrum verortet, desto grösser sind die Vorbehalte gegenüber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Hätten Sie all das gedacht? Oder hegen Sie sowieso Zweifel an derartigen Analysen?
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch im uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.
uniAKTUELL-Newsletter abonnieren
Entdecken Sie Geschichten rund um die Forschung an der Universität Bern und die Menschen dahinter.