Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»
Sorgen Sie für ein gutes Klima?
Nur eine knappe Mehrheit wäre in der Schweiz bereit, zugunsten der Umwelt auf Einkommen zu verzichten. Die Klimawandelglaubensfrage wird zu einem erheblichen Teil durch die politische Ideologie vorgespurt.
Ist das nicht verrückt? Oder vielleicht schon tragisch? Seit Wochen ziehen uns Starkregen, Überschwemmungen und Murgänge in ihren Bann.
Als hausgemachte Folgen des Klimawandels lösen diese Wetterkapriolen vor der eigenen Haustür nie gekannte Ängste und Unsicherheiten aus. Doch trotz Schlamm und Geröll vor Augen werden wir im Land der Vielfliegerinnen und Vielflieger wohl auch in diesem Jahr pünktlich zum Ferienstart wieder stündlich über das Passagieraufkommen und die Warteschlangen an den Flughäfen informiert. Gut möglich, dass es Rekordzahlen zu vermelden gibt und sich die Flugscham trotz Sturzflut im Sinkflug befindet.
Das ist nicht ohne, da der Flugverkehr gerade hierzulande für einen sehr hohen Anteil der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist und die Stärke unseres ökologischen Fussabdrucks wesentlich mitbestimmt. Berechnungen zeigen, dass man anstelle eines Fluges Zürich–New York retour beispielsweise ein ganzes Jahr mit dem Auto fahren oder auch ein Jahr lang jede Woche zwei Kilo Fleisch essen könnte.
Schweizerinnen und Schweizer haben kaum Flugscham
Wie ist es bei Ihnen? Bleiben Sie lieber mit beiden Füssen auf dem Boden und fordern Gesetze, Gebühren und ein schlechtes Gewissen, um das Klima zu retten? Oder verleiht Ihnen das Ablegen jeglicher moralischer Fesseln Flügel und lässt Sie sehnsuchtsvoll gen Himmel blicken? Sie wären damit nicht allein: Vor Jahresfrist gab die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer zu verstehen, dass man beim Fliegen keine Schuldgefühle haben muss.
Wie kaum ein anderes Thema vermag der Umgang mit dem Klimawandel die Schweizer Gesellschaft zu spalten. Während gemäss eigenen Umfragen rund 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer der Meinung sind, dass die Massnahmen gegen den Klimawandel nicht weit genug gehen, sind ebenso viele überzeugt, dass die bisherigen Anstrengungen ausreichen und genügend Aktivitäten unternommen werden. Drängen die einen darauf, den Ausstoss klimaschädlicher Gase und die Erderwärmung drastisch zu reduzieren, sehen die anderen in weiteren Eingriffen bei Reisen, Ernährung und Wohnen unnötige Zwängereien. Ist es für die einen fünf vor zwölf, würden die anderen am liebsten die Uhren zurückdrehen.
Die Klimawandelglaubensfrage wird dabei zu einem erheblichen Teil durch die politische Ideologie vorgespurt: Je weiter rechts man sich im Politspektrum verortet, desto weniger halten Herr und Frau Schweizer von weiteren Massnahmen und lehnen beispielsweise zusätzliche Steuern auf fossile Brennstoffe ab, um dem Klimawandel entgegenzutreten.
Und auch wenn die Sorge um Umwelt und Klima in den Köpfen präsent ist, hat sie nicht überall die Herzen erreicht: Nur eine knappe Mehrheit wäre in der Schweiz bereit, zugunsten der Umwelt auf Einkommen zu verzichten.
Einsicht und Verzicht fallen schwer
Machen wir uns nichts vor: Die im Zuge der Individualisierung gestiegenen Anspruchshaltungen und Selbstverwirklichungsbegierden der Ich-Fabriken verpassen der Klimapolitik ein enges Korsett. Die moralische Lufthoheit der einen wird die anderen nicht zu Boden bringen. Verzicht fällt ebenso schwer wie die Einsicht in Widersprüche, die besser kleingeredet werden. Auch wenn wir alle über die Umweltverträglichkeit unseres Handelns Bescheid wissen, finden sich immer wieder Ausflüchte, um unser dissonantes Verhalten in ein besseres Licht zu rücken.
Nicht umsonst schätzen laut einer Studie des Instituts Sotomo nur 10 Prozent ihr eigenes Verhalten als weniger klimafreundlich ein als das der Schweizer Bevölkerung. Fordern die einen deshalb Verbote, suchen die anderen das Heil in Abgaben und insbesondere in Subventionen. Wem unter die Arme gegriffen wird, der hegt vielleicht weniger Ambitionen, stehen zu bleiben.
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch auf uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.