Was halten Sie von Eliten?

Über 40 Prozent der Landbevölkerung haben den Eindruck, von Eliten von oben herab behandelt zu werden. Zeit für eine Imagekorrektur.

Markus Freitag 12. August 2024

Für Doris Leuthard haben Eliten hierzulande einen schweren Stand: «Wenn sich jemand in der Schweiz elitär gibt, wird er ziemlich schnell wieder auf den Boden der Realität geholt.» Teilen Sie diese Einschätzung der Alt-Bundesrätin? Wie stehen Sie zu Eliten? Schauen Sie gerne zu ihnen auf, oder spüren Sie im Gegenteil vielleicht sogar deren herablassende Blicke? Halten Sie Eliten für unverzichtbar oder im Grunde für überflüssig oder gar für schädlich?

Als Eliten werden im Allgemeinen soziale Gruppen etikettiert, die aufgrund ihrer Position oder der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel in der Lage sind, die Entwicklung einer Gesellschaft zu beeinflussen oder für sie wegweisende Entscheidungen zu treffen. Zu ihnen gehören diejenigen, die einen wie auch immer gearteten Ausleseprozess durchlaufen haben. Die Vorstellungen reichen dabei von einem überschaubaren und fest umrissenen Personenkreis mit gemeinsamer Weltanschauung und grosser Machtfülle bis hin zu konkurrierenden Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Leistungskriterien, deren Einflussbereich funktional begrenzt ist. 

Wer sich zur Elite zählt, grenzt sich von der Masse ab und sieht sich selbst im Kreis der oberen Zehntausend, gehört zur High Society und gerne auch zur Prominenz. Unverdiente Privilegien, uneingelöste Führungsansprüche und Fehlleistungen machen diese Menschen aber gerade in Krisenzeiten zur Zielscheibe öffentlicher Kritik. 

Grösste Skeptikerin ist die Landbevölkerung

Weil elitär das Gegenteil von egalitär ist, ist die Beschäftigung mit der Hautevolee ohnehin ein treuer Begleiter demokratischer Ordnungen. Während die einen die Einsicht vertreten, dass ein modernes demokratisches Gemeinwesen nicht von allen gleichzeitig geführt werden kann und es deshalb auserwählter Personen bedarf, können andere ihre Vorstellungen von Gleichheit, Chancengerechtigkeit und Mitbestimmung nicht mit der Präsenz von Eliten vereinbaren. Nicht umsonst wird hierzulande die Dunkelkammer der elitengesteuerten Konkordanz mit viel direktdemokratischem Licht geflutet.

Die grösste Skepsis schlägt den Eliten hierzulande vonseiten der Landbevölkerung entgegen. Über 40 Prozent haben den Eindruck, von dieser Personengruppe von oben herab behandelt zu werden. In der Agglomeration und in den Städten ist diese Haltung deutlich weniger ausgeprägt. Gesamtschweizerisch sind zudem rund 45 Prozent der Meinung, dass sich die Interessen der «classe politique» negativ auf das Wohlergehen des Volkes auswirken. Das sind ähnlich viele wie in Deutschland, aber weit weniger als beispielsweise in Italien, Frankreich oder Grossbritannien.

Wer Eliten gegenüber starke Bedenken hat, bringt laut eigenen Befragungen auch seinen Mitmenschen und den heimischen Institutionen gegenüber generell wenig Vertrauen entgegen. Und wer angibt, mit den Veränderungen der Lebenswelten seine Schwierigkeiten zu haben und sich in der Schweiz wie eine Fremde oder ein Fremder zu fühlen, sieht auch die elitären Kreise kritisch. Nicht selten verfängt sich dieses Gefühl in den Netzen populistischer Parteien, die mit ihrem Mantra einer abgehobenen und selbstverliebten Elite noch so gerne ein politisches Auffangbecken bieten.

Bei allen Vorbehalten gegenüber elitären Zirkeln müssen wir aber auch ehrlich sein: Man kann nicht alle über einen Kamm scheren, denn viele der Auserwählten leisten gute Dienste für die Gemeinschaft. Hilfreich wäre es aber allemal, wenn die Eliten von Zeit zu Zeit selbst an einer Imagekorrektur arbeiten und sich dabei an die eigene Nase fassen würden. Von Vorteil ist es dann natürlich, wenn diese nicht allzu hoch getragen wird.

Zweitveröffentlichung

Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL

Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch im uniAKTUELL.

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