Weniger Tierversuche dank reproduzierbarer Forschung

Reproduzierbarkeit ist ein Grundpfeiler wissenschaftlicher Forschung. An der ersten Schweizer Konferenz für Reproduzierbarkeit diskutierten Forschende, wie sie diesen Anspruch am besten umsetzen. Dies ist auch für die Forschung mit Tieren von grosser Bedeutung.

Eine Untersuchung unter der Leitung von Tierschutzforscher Hanno Würbel zeigte, dass Multilaborstudien, die auf Diversität setzen, die Aussagekraft und Reproduzierbarkeit von Tierversuchen erheblich verbessern. © Universität Bern

Empirische Wissenschaft sollte veröffentlicht werden und nachvollziehbar, überprüfbar und reproduzierbar sein. Dass sich Forschungsergebnisse wiederholen lassen und verschiedene Forschungsgruppen unter vergleichbaren Bedingungen übereinstimmende Ergebnisse erzielen, ist eine Voraussetzung dafür, dass wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptiert werden und wissenschaftliche Aussagen glaubwürdig sind.

Häufige Schwierigkeiten in der Praxis

Reproduzierbarkeit zu gewährleisten, ist in der Praxis jedoch nicht immer einfach: In einer Umfrage des Journals «Nature» von 2016 zeigte sich, dass über 70 Prozent von 1576 befragten Forschenden schon mindestens einmal beim Versuch scheiterten, die Experimente anderer Forschender zu reproduzieren. Bei mehr als der Hälfte kam dies auch schon bei eigenen Experimenten vor. Das hat nicht zwingend mit unredlicher oder schlechter Wissenschaft zu tun. Beispielsweise gibt es in der Biologie viele Resultate, die allein aufgrund der grossen Variabilität der Lebensphänomene schwer reproduzierbar sind.

Über 70 Prozent von befragten Forschenden scheiterten schon mindestens einmal beim Versuch, die Experimente anderer Forschender zu reproduzieren.

Methodische Aspekte, die die Reproduzierbarkeit empirisch gewonnener Daten beeinflussen können, werden in der Wissenschaftsgemeinschaft derzeit rege diskutiert. Vor diesem Hintergrund fand nun an der ETH Zürich die erste Schweizerische Konferenz für Reproduzierbarkeit statt. Organisiert wurde sie vom Schweizerischen Nationalfonds SNF und vom Schweizerischen Netzwerk für Reproduzierbarkeit SwissRN, dem sich die meisten Schweizer Universitäten angeschlossen haben.

Zur Person

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Hanno Würbel ist der Leiter der Abteilung Tierschutz am Veterinary Public Health Institute der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern und Gründungsmitglied von SwissRN.

Weitere Informationen: https://www.tierschutz.vetsuisse.unibe.ch/

«An der Konferenz treffen sich Forschende aus allen Disziplinen, um neue Ansätze und Methoden zur Förderung der Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen vorzustellen», sagt Hanno Würbel, Mitorganisator der Konferenz. Der Tierschutzprofessor an der Vetsuisse Fakultät Bern ist Gründungsmitglied und vertritt die Universität Bern im Steuerungsausschuss des SwissRN. Sein Mitarbeiter Bernhard Völkl koordiniert die Aktivitäten des Reproducibility Netzwerk an der Universität Bern. Die beiden beschäftigen sich in ihrer Forschung seit vielen Jahren mit der wissenschaftlichen Aussagekraft und Reproduzierbarkeit von Tierversuchen.

SWISSRN

Das SwissRN setzt sich für rigorose und transparente Forschungspraktiken und robuste Ergebnisse in der Schweiz ein. Es handelt sich um eine Graswurzelbewegung, die vor allem von der Bildung lokaler Netzwerke und Aktivitäten lebt – beispielsweise von sogenannten «Hackathons». Dabei versuchen Studierende und Forschende anhand von Versuchsprotokollen und veröffentlichten Daten, die Analysen und Versuchsergebnisse zu reproduzieren. Dabei zeigt sich, dass in Publikationen oft wichtige Informationen fehlen und welche Informationen es braucht, damit Versuche wiederholbar sind.

Verlässlichere Resultate sollen Zahl von Versuchstieren vermindern

Tierversuche werden meist unter hochstandardisierten Laborbedingungen durchgeführt. Die Standardisierung soll die Präzision der Versuchsergebnisse verbessern, schränkt aber gleichzeitig die Allgemeingültigkeit ein. Um robustere Versuchsergebnisse zu erzielen, schlagen die beiden zusammen mit Forschenden aus verschiedenen Fachgebieten vor, Studienpopulationen bewusst zu diversifizieren und so die biologische Variation im Versuchsdesign zu berücksichtigen. «Mit robusteren Versuchsergebnissen lassen sich Tierversuche vermindern, die anderenfalls nötig wären, um unsichere Versuchsergebnisse zu verifizieren», sagt Hanno Würbel.

«Reproduzierbarkeit ist die Nagelprobe, mit der Forschende Fakten von Anekdoten unterscheiden.»

Hanno Würbel

«Reproduzierbarkeit ist die Nagelprobe, mit der Forschende Fakten von Anekdoten unterscheiden», sagt Hanno Würbel. Völkl fügt an: «Mangelnde Reproduzierbarkeit verursacht ökonomische Kosten und wissenschaftliche Unsicherheit – und ist ethisch bedenklich, wenn dadurch medizinischer Fortschritt behindert und Tiere in nicht aussagekräftigen Versuchen eingesetzt werden.»

Fachspezifische Anforderungen

«Reproduzierbarkeit und Replikation sind für alle Wissenschaften zentral. In der Praxis stellen sich jedoch Herausforderungen, die teilweise fachspezifisch sind», sagt Hanno Würbel. So würden unterschiedliche Forschungsansätze in Geschichte, Philosophie und Biologie auch unterschiedliche Massnahmen zur Sicherstellung der Reproduzierbarkeit erfordern.

Zur Person

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Dr. Bernhard Völkl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung Tierschutz am Veterinary Public Health Institute der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern.

Ziel der Reproduzierbarkeits-Konferenz war es deshalb, Forschende aus allen Fachgebieten zusammenzubringen. Viele Entwicklungen, die der Forschungsqualität abträglich sind, wurden bereits erkannt, zum Beispiel zu kleine Stichproben, selektives Publizieren positiver Forschungsergebnisse oder die Belohnung spektakulärer statt robuster Befunde. Neben den Forschenden haben auch die Hochschulen, forschungspolitische Dachorganisationen und Förderinstitutionen Initiativen ergriffen und Programme initiiert, um die Reproduzierbarkeit und Transparenz im Forschungsprozess zu stärken.

Führende Rolle der Universität Bern

Die Abteilung Tierschutz des Veterinary Public Health Institute der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, die von Hanno Würbel geleitet wird, ist zudem schweizweit führend in der Forschung zur Bewertung des Wohlbefindens von Tieren, für die Entwicklung tierschutzgerechter Haltungssysteme, für die Diagnose, Vorbeugung und Therapie von Verhaltensproblemen sowie für die Verbesserung von Tierversuchen. Unter anderem wurde von der Abteilung in derselben Woche wie die Reproduzierbarkeits-Konferenz eine Tagung in Bern durchgeführt, die sich mit dem Geschlecht als biologischer Variable befasste, damit in einer reproduzierbaren und verantwortungsvollen Forschung mehr weibliche Tiere in Studien einbezogen werden. Zudem wurde eine Forscherin aus Bern an der Reproduzierbarkeits-Konferenz ausgezeichnet: Im Rahmen der Swiss Reproducibility Awards 2024 erhielt Dr. Virginia Chiocchia für die Entwicklung eines Tools einen Early Career Research Award.

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