Durch Selbsterfahrung für Behinderungen sensibilisiert

Mitte Mai fanden an der Uni Bern Rundgänge statt, bei denen Studierende die alltäglichen Herausforderungen ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen mit Seh- oder Mobilitätsbehinderungen am eigenen Leib erleben konnten.

Welche Hürden müssen Menschen mit Seh- oder Mobilitätsbehinderung im Uni-Alltag überwinden, die anderen nicht im Weg stehen? Um dies zu veranschaulichen, führte die Abteilung für Chancengleichheit der Uni Bern in Zusammenarbeit mit der Organisation Sensability Rundgänge durch, bei denen die Teilnehmenden diese Herausforderungen selbst erleben konnten.

Der erste Rundgang widmete sich dem Thema Sehbehinderung. Die beschauliche Gruppe wurde im vonRoll-Gebäude in Empfang genommen. Theres Steck und Nicole Sourt Sanchez von Sensability erwarteten die Gruppe mit einem Koffer voller Material. Die Teilnehmenden wurden mit Blindenstock und Augenbinde ausgerüstet und fanden sich in Zweierteams zusammen.

Jeweils eine Person der Zweierteams setzte sich die Augenbinde auf und machte sich mit Unterstützung der Partnerin oder des Partners auf den Weg durch den Flur aus dem Gebäude. Die Teams bewegten sich anfangs noch zögerlich und unsicher. Fehltritte nahmen sie jedoch mit einem Lachen hin.

Über die Abteilung Chancengleichheit der Universität Bern AFC

Die AFC setzt sich für die Förderung von Chancengleichheit und Gleichstellung von Frauen und Männern ein, ist bestrebt Zugangshürden abzubauen und fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Care-Verpflichtungen. Für die Universität sind die vielfältigen Perspektiven der Universitätsangehörigen ein wesentlicher Bestandteil von Exzellenz in Forschung, Lehre und Verwaltung.

Die Personen mit verbundenen Augen wagten ihre ersten Schritte ohne Begleitperson auf dem Trottoir und nur mit Blindenstock. Nach der kurzen Strecke auf dem Trottoir traf sich die Gruppe auf dem Uni-Gelände und diskutierte das Erlebte.

«Ich nehme alle anderen Sinne plötzlich viel stärker wahr. Ich habe gemerkt, wie es kälter wurde, als wir im Schatten waren. Auch die Geräusche der Studierenden und der Autos wirkten schon fast bedrohlich», meinte eine Teilnehmerin.

Nicole Sourt Sanchez ergänzte, dass sich auf dem zurückgelegten Weg ein Baustellenschild befand, das einfach zu ertasten war, da es an einem breiten Sockel befestigt war. Andere Schilder seien schwieriger zu ertasten und könnten eine Gefahr darstellen, weshalb sie oft zusätzlich zum Blindenstock eine Hand vor ihren Körper halte.

Danach wurden die Rollen getauscht und die zweite Person musste mit verbundenen Augen und mit Hilfe des Blindenstocks wieder zurück ins Gebäude zum anfänglichen Treffpunkt finden.

Nach dem Rundgang zeigte sich eine Studentin sehr überzeugt: «Ich würde eine solche Erfahrung definitiv weiterempfehlen. Es macht einen Unterschied, wenn man es selbst erlebt und nicht nur davon hört.»

Am Nachmittag fanden Rundgänge zu Mobilitätsbehinderungen statt. Herbert Bichsel von Sensability erklärte, welchen Herausforderungen er im Alltag begegne. Die Teilnehmenden konnten sich in einen Rollstuhl setzen und diese Herausforderungen nachempfinden.

Über Sensability

Sensability arbeitet behinderungsübergreifend und sensibilisiert für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sowie für die Hindernisse, denen sie täglich gegenüberstehen. Sensability führt Beratungen und Schulungen durch, bei denen Betroffene helfen, Hindernisse abzubauen.

Als erstes probierten die Teilnehmenden ein Manöver aus, das Rollstuhlfahrenden bei Absätzen benötigen: das Anheben der Vorderräder. Hierfür muss der Rollstuhl leicht gekippt werden, was mit einer schwungvollen Bewegung und etwas Rücklage gelingt. Obwohl viele Rollstühle mit einer Stütze ausgestattet sind, die Stürze auf den Rücken verhindert, erforderte die Bewegung von den Teilnehmenden Mut: «Ich hatte trotz Stütze Angst, auf den Rücken zu fallen».

Auch Sitzgelegenheiten könnten ein Problem darstellen, meinte Bichsel, wenn Stühle oder Bänke bei Sitzgelegenheiten in Innen- oder Aussenräumen nicht verschiebbar seien. Denn dann könne sich jemand im Rollstuhl nicht mit Gehenden an den gleichen Tisch setzen.

Wie anstrengend ein Tag im Rollstuhl sein kann, wurde bei einer Fahrt durch Kies und beim Befahren einer Rampe deutlich. Beim Versuch, die Rampe beim Velokeller des vonRoll mit Muskelkraft zu erklimmen, wurde den Teilnehmenden klar, dass eine Rampe für Rollstuhlfahrende nicht immer hilfreich, sondern vor allem anstrengend ist.

«Auch das Abheben von Geld, das Bedienen einer Kaffeemaschine oder das Betätigen eines Feueralarms können Hürden darstellen», erklärte Bichsel. «Viele dieser Probleme waren mir nicht bewusst, mir fehlte der Blick dafür. Durch die Selbsterfahrung hat sich meine Perspektive verändert», so eine teilnehmende Studentin.

Seraina Wepfer von der Abteilung für Chancengleichheit der Universität Bern blickt positiv auf die Rundgänge zurück: «Ich finde die Rundgänge von Sensability sehr hilfreich, auch für meine eigene Arbeit. Oft sind wir uns den Herausforderungen von Menschen mit Behinderungen zu wenig bewusst. Wenn die Nichtbetroffene die Herausforderungen selbst erleben, trägt das viel zur Sensibilisierung bei.»

Herbert Bichsel ergänzt: «Meine Erfahrung zeigt: Sobald die erste Hemmschwelle überwunden ist, ist eine Begegnung mit Menschen mit Behinderung kein Problem mehr. Genau hier können diese Rundgänge helfen.»

Über die Aktionstage Behindertenrechte

Vom 15. Mai bis zum 15. Juni finden die nationalen Aktionstage Behindertenrechte statt. Ziel der Aktionstage ist es, Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen, positive Beispiele hervorzuheben und kollektives Engagement zu fördern. Im Rahmen der Aktionstage Behindertenrechte engagiert sich die Abteilung für Chancengleichheit der Universität Bern mit einer Reihe von vielfältigen Veranstaltungen. Diese Veranstaltungen zielen darauf ab, das Bewusstsein für die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen an der Universität Bern zu schärfen und einen Beitrag zu einem inklusiveren Hochschulumfeld zu leisten.

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