Wo E-Learning die Präsenzlehre nicht ersetzt

Studierende schätzen vermehrt E-Learning-Angebote und fordern sie auch aktiv ein. Doch was ist ihr Preis? Am 12. Tag der Lehre setzten sich rund 200 Teilnehmende mit den Qualitäten der Präsenzlehre auseinander.

Text: Thomas Schröter 26. Februar 2024

Fritz Sager, Vizerektor Lehre, begrüsst die Teilnehmenden zur Tagung. Bild: Samuel Krähenbühl

Beim Joggen den Vorlesungspodcast hören, zeitlich flexibel um den Nebenjob herum Lerneinheiten einlegen: Die Freiheiten der digitalen Lehrformen sind offensichtlich. Doch was bleibt beim Lernen von zu Hause aus auf der Strecke? Am 12. Tag der Lehre fanden sich am 16. Februar rund 200 Hochschuldidaktik-Interessierte zusammen, um zu beleuchten, was der Online-Lehre fehlt und nur in Präsenz erfahrbar ist – natürlich vor Ort an der Universität Bern. 

Begrüsst wurden sie durch den Vizerektor Lehre Fritz Sager sowie Thomas Tribelhorn, Leiter Abteilung Learning and Development LEAD (ehemals Hochschuldidaktik und Lehrentwicklung). Sager hielt fest, dass die Tatsache, dass bereits der 12. Tag der Lehre stattfinde, eindeutig den Bedarf nach der Diskussion über gute Hochschullehre zeige. 

Der eigene Leib und das Gegenüber  

Was aber sind die Qualitäten, die die Präsenzlehre ausmachen? Dass die Antwort auf diese Frage nicht trivial ist, machten die Keynotes deutlich. 

Thomas Fuchs von der Psychiatrischen Uniklinik Heidelberg hebt in seiner Keynote die Bedeutung von «Resonanzerfahrungen» für die Präsenzlehre hervor. Bild: Samuel Krähenbühl

Der Psychiater Thomas Fuchs sah einen zentralen Aspekt in der «leiblichen Präsenz des lernenden Menschen und ihren vielfältigen Facetten», wie er es formulierte. Eine Facette sei das «verkörperte Gedächtnis». Wie die Kognitionsforschung zeige, laufen Lernen und Erinnern nicht isoliert im Gehirn ab, denn Körper und Umgebung seien in die kognitiven Prozesse integriert.  

«Körper und Umgebung sind in die kognitiven Prozesse integriert»

Thomas Fuchs

Ausserdem spiele die «leibliche Kommunikation» etwa in Form von Mimik, Gestik oder dem Blickkontakt eine wichtige Rolle», so Fuchs. Richte sich der Blick gemeinsam auf etwas Bestimmtes, manifestiere sich mit der «geteilten Aufmerksamkeit» eine weitere Facette der leiblichen Präsenz. Was Fuchs zufolge der Online-Lehre somit fehle, sei dieses «vielschichtige Leibliche in der realen Begegnung – und damit etwas Urmenschliches». Nicht zuletzt schlage sich dies auch im Lernerfolg nieder, der durch eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Dozierenden und Studierenden begünstigt würde. Die leibliche Präsenz, so Fuchs, sei dafür eine wichtige Grundlage. 

 

Heiko Hausendorf von der Universität Zürich betont die Wichtigkeit der gegenseitigen Wahrnehmung. Bild: Samuel Krähenbühl

Der Sprachwissenschaftler Heiko Hausendorf ortete das Besondere der Präsenzlehre im Konzept der sogenannten «Kopräsenz», besonders wie sie in universitären Hörsälen entstehe. «In der Kopräsenz nimmt man das Gegenüber nicht nur wahr, man erkennt zudem, dass man vom Gegenüber ebenfalls wahrgenommen wird», erklärt Hausendorf. Ähnlich dem Kino, soll eine Gemeinschaftserfahrung entstehen und die Wahrscheinlichkeit von Ablenkung reduziert werden. Dies setze nicht zwangsläufig die leibliche Präsenz voraus, wie sie Fuchs beschreibe – Kopräsenz könne ebenfalls über computervermittelte Kommunikation ermöglicht werden. «Verloren geht sie aber etwa in der Rezeption von Podcasts, wo Kopräsenz für eine ständige Erreichbarkeit der Lerninhalte geopfert wird», so Hausendorf. Dabei würde auch die Sozialisation in die jeweilige Wissensgemeinschaft leiden, auf die das Studium vorbereiten solle. 

 

Innovative Lehrformen aus der Uni Bern 

In vier Kurzpräsentationen kamen Dozierende der Uni Bern zum Zug. Sie stellten ihre innovativen Lehrveranstaltungen vor, welche ihr volles didaktisches Potenzial nur in Präsenz entfalten würden. Kathrin Karl vom Institut für Slawische Sprachen bot einen Einblick in ihr von der Fakultären Lehrentwicklung gefördertes Lehrprojekt UnVergessen. «In einem Matching-Prozess führen wir zweisprachige Studierende mit ebenfalls zweisprachigen Bewohnerinnen und Bewohnern aus Seniorenheimen zusammen», erklärte Karl. «Die Studierenden besuchen dabei ihre Tandempartnerinnen und -partner regelmässig über ein Semester hinweg in den Heimen und tauschen sich über ihre Sprachen und deren Verwendungssituationen aus.» Die Gespräche würden wiederum die Datengrundlage für interdisziplinäre Forschungsprojekte der Studierenden bilden.

 

Am Tag der Lehre 2024 fanden rund 200 Hochschuldidaktik-Interessierte zusammen. Bild: Samuel Krähenbühl

Wie unerlässlich Präsenz für die Betreuung von Rindern ist, zeigte Michèle Bodmer von der Vetsuisse Wiederkäuerklinik. «In einem intensiven Eins-zu-eins-Betreuungsverhältnis besuchen Studierende im fünften Semester zusammen mit erfahrenen Tierärztinnen und -ärzten Milchbauernhöfe und führen Routineuntersuchungen am Vieh durch», so Bodmer. Nur vor Ort würden die Studierenden dabei die professionelle Kommunikation mit Landwirtinnen und die Arbeit am Tier, wie etwa die Eierstock-Tastuntersuchung, erlernen. «Wichtig ist dabei auch das Feedback, das die Studierenden bei der Arbeit erhalten, durch welches viel implizites Wissen vermittelt wird», betonte Bodmer.  

Botanikerin Christelle Robert stellte die Highlights ihres Pflanzenkunde-Escape-Games vor: Während sie für vier Stunden in den Treibhäusern des botanischen Gartens eingeschlossen sind, lösen die Studierenden Rätsel, um den Schlüssel für den Ausgang zu finden – das geht nur in Präsenz. 

Studierende beim Lösen eines Rätsels im Botanischen Garten. Bild: Adrian Moser

«Nur, indem die Studierenden ihr Wissen über die verschiedenen Pflanzenverteidigungsmechanismen anwenden, sind sie etwa in der Lage, ein vergiftetes Kaninchen zu retten, das am falschen Grünzeug geknabbert hatte», erklärte Robert. «Obwohl es sich nur um einen Plüschhasen handelt, sind die Studierenden voll dabei.»  

«Obwohl es sich nur um einen Plüschhasen handelt, sind die Studierenden voll dabei.»

Christelle Robert

Dass Präsenz und digitaler Unterricht gut kombinierbar sind, zeigte zuletzt Moritz Gubler vom Geographischen Institut auf. Gubler legte dar, wie das traditionell in Präsenz stattfindende Kursformat der Exkursion gewinnbringend mit Podcasts angereichert werden kann und so individualisiertes Lernen ermöglicht. «Für die Veranstaltung Recht auf Stadt haben wir beispielsweise Aufnahmen zur Stadtentwicklung von Bern mit professionellen Sprecherinnen und Sprechern produziert, die von den Studierenden während der Stadterkundung angehört werden.» 

Der leiblichen Präsenz und Kopräsenz nachspüren – und zeitgleich neue Impulse für die eigene Lehre erhalten – konnten die Teilnehmenden schliesslich in der Expo. Zur Auswahl standen einerseits Workshops, in denen jeweils eine andere für die Präsenzlehre ausgerichtete Lernmethode vorgestellt und selbst erprobt werden konnte. Andererseits fungierten fachliche Demonstrationen als Schaufenster für weitere innovative Lehrformate an der Universität Bern, darunter die Human Law Rights Clinic, die Verwendung von Fallstudien am CDE und der «bewegte Campus» zur Bewegungsförderung in der Lehre. Zuletzt stellten die e-Coaches ihre Arbeit vor.  

 

Keine digitale Lehre mehr? 

Der 12. Tag der Lehre war zwar kein Abgesang auf die Digitalisierung an den Universitäten, wohl aber ein Plädoyer für die Aufrechterhaltung und Wertschätzung der Präsenzlehre. Diese hat allerdings ihren Preis: Das mitunter frühe Aufstehen, die Anreise, die zeitliche Gebundenheit sowie die Infektionsgefahr. Einigkeit bestand in den anschliessenden Apéro-Gesprächen indes darin, dass die Diskussion des Für und Wider der Präsenzlehre fortgeführt werden muss – unter Einbezug der Studierenden. 

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