Übersicht zu Antibiotikaresistenz in Indien mit Berner Tool

Indien kämpft mit hohen Antibiotikaresistenzen. Ein von der Universität Bern gemeinsam mit einer indischen Universität weiterentwickeltes Tool zeigt erstmals die Resistenzlage für Nord- und Westindien auf und schafft eine Grundlage für bessere Sensibilisierung.

Text: Liselotte Selter 18. November 2024

Der ANRESIS Guide stellt in einer Matrix dar, wie ein spezifischer bakterieller Erreger auf ein spezifisches Antibiotikum reagiert – von grün als sehr empfindlich bis zu rot als resistent.
Der ANRESIS Guide stellt in einer Matrix dar, wie ein spezifischer bakterieller Erreger auf ein spezifisches Antibiotikum reagiert – von grün als sehr empfindlich bis zu rot als resistent.

Ob über die Haut, die Atemwege oder via kontaminierte Lebensmittel: Bakterielle Infektionserreger gelangen über verschiedene Wege in unseren Körper. Immer mehr Bakterien entwickeln jedoch Resistenzen und entziehen sich der Wirkung von Antibiotika. Diese sogenannten Antimikrobiellen Resistenzen (AMR) werfen die Fortschritte der Medizin um Jahrzehnte zurück.

Daten für eine kluge Anwendung von Antibiotika

Die Überwachung der Resistenzsituation ist zentral, um die steigende Anzahl resistenter Bakterien zu begrenzen. Das an die Universität Bern angegliederte Zentrum für Antibiotikaresistenzen ANRESIS übernimmt diese Aufgabe für die Schweiz im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit. Die Kenntnis der lokalen Resistenzsituation unterstützt Fachpersonen in der gezielten Anwendung von Antibiotika nach den «use wisely» Kriterien. Als wichtigstes gilt kurz gesagt: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich.»

«Es ist ein zentrales Anliegen von ANRESIS, die Resistenzdaten nicht nur zu sammeln, sondern allen Interessierten übersichtlich und intuitiv darzustellen», sagt Andreas Kronenberg, Projektleiter von ANRESIS. Eine solche Darstellung bietet der 2023 entwickelte ANRESIS Guide. Das webbasierte Tool stellt in einer farbcodierten Matrix dar, wie spezifische Bakterien auf unterschiedliche Antibiotika reagieren.

Indien als Hotspot für die Resistenzentwicklung

Indien gilt als einer der weltweiten Hotspots der Resistenzentwicklung mit deutlich höheren Resistenzraten als in der Schweiz. «Hauptgrund dafür ist der hohe Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin und Landwirtschaft. Antibiotika sind in Indien rezeptfrei erhältlich und werden häufig falsch angewendet», erklärt Kronenberg. Mangelnde Hygiene, dichtes Zusammenleben von Mensch und Tier sowie eine oft unzureichende Gesundheitsversorgung förderten die Übertragung und erschwerten die Behandlung resistenter Infektionen. Das Resultat seien höhere Sterblichkeitsraten.

ANRESIS Guide für Indien

Im Rahmen des Swissnex-Netzwerkes wurde in Zusammenarbeit mit der Ashoka Universität in Haryana, Indien, nun eine indische Version des ANRESIS Guide (ANRESIS Guide India) entwickelt. Shraddha Karve, Forschungsstipendiatin an der Ashoka Universität und Mitinitiantin des Projekts, erklärt: «Regierungsbehörden, NGOs und private Unternehmen verstärken zwar die Überwachung von AMR in Indien, aber nicht alle Informationen sind frei und schnell verfügbar.» Der ANRESIS Guide India biete dem indischen Gesundheitsfachpersonal nun erstmals einen Überblick über die aktuelle Resistenzlage in Nord- und Westindien.

Shradda Karve ist zuversichtlich: «Auch die Verantwortlichen für Infektionskontrollen in grösseren Gesundheitseinrichtungen profitieren von diesen Daten, da sie eine breitere Bevölkerungsgruppe abdecken.» Auch wenn das Tool die Verschreibungspraxis in Indien kurzfristig kaum ändern werde, könne es zu einem besseren Bewusstsein für den sachgemässen Einsatz von Antibiotika beitragen.

Durch die zunehmende globale Mobilität und Migration sind auch Länder wie die Schweiz von der Resistenzproblematik in Indien betroffen. «Bis 2050 könnten weltweit mehr als 8 Millionen Todesfälle auf AMR zurückzuführen sein», sagt Kronenberg. Zur Sensibilisierung der Bevölkerung und Politik findet deshalb vom 18. bis 24. November die internationale Antimicrobial Resistance Awareness Week statt. «Ich hoffe, dass die indische Version von ANRESIS auch die globalen Überwachungsbemühungen stärken wird, indem sie zeitnahe Informationen aus Indien beisteuert», sagt Karve abschliessend.

Zur Person

Andreas Kronenberg ist Hausarzt und Professor am Institut für Infektionskrankheiten (IFIK) der Universität Bern. Er ist Leiter von ANRESIS, dem Schweizerischen Zentrum für Antibiotikaresistenzen, das im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit am IFIK geführt wird.

Zur Person

Shraddha Karve ist Forschungsstipendiatin an der Ashoka Universität in der Region Haryana, Indien. Sie arbeitet an datengetriebenen Projekten im Bereich der öffentlichen Gesundheit und fokussiert derzeit auf das drängende Problem der antimikrobiellen Resistenz (AMR) in Indien.

Sensibilisierung und Fortbildung dank dem ANRESIS Guide

Die Resistenzdaten im ANRESIS Guide werden schweizweit gesammelt und vierteljährlich aktualisiert. Daneben finden praktizierende Ärztinnen und Ärzte im ANRESIS Guide die aktuellen Antibiotikaleitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie. Schweizer Spitäler oder Spitalgruppen können zudem ihre eigenen Richtlinien einbinden, wie dies etwa das Spital Chur nun getan hat (ANRESIS Guide Kantonsspital Graubünden). Damit stehen der Ärzteschaft umfassende Informationen für die Entscheidungsfindung bei der Verschreibung von Antibiotika zur Verfügung. Für Studierende bietet das Tool zusätzlich theoretische Inhalte zu Mikroorganismen und Antibiotika, die in Zusammenarbeit mit der Universität Bern und pharmaSuisse entwickelt wurden. So sollen angehende Ärztinnen und Ärzte frühzeitig für die Resistenzproblematik sensibilisiert und im Umgang mit aktuellen Daten geschult werden.

Weitere Informationen:

 

uniAKTUELL-Newsletter abonnieren

Entdecken Sie Geschichten rund um die Forschung an der Universität Bern und die Menschen dahinter.

Oben