Klimawandel
Schweizer Wälder werden dichter
Wälder absorbieren Kohlendioxid und können dazu beitragen, den Klimawandel abzuschwächen. Doch wie die Wälder auf den Klimawandel reagieren, ist noch unsicher. Forschende der Uni Bern liefern neue Erkenntnisse auf Basis einer Studie über Schweizer Wälder.
Wie die Wälder auf den Klimawandel reagieren, ist für den Klimaschutz sehr wichtig: Zusammen mit Grasland absorbieren Wälder etwa ein Viertel der vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen (CO2). Aber wie so oft in der Natur sind die Dinge komplex. Einerseits wirkt sich der Anstieg des atmosphärischen CO2 positiv auf die Photosynthese aus und hat die Bäume schneller wachsen lassen. Ausserdem haben die steigenden Temperaturen die Vegetationsperiode in den gemässigten Regionen verlängert. Andererseits haben schnell wachsende Bäume eine kürzere Lebenserwartung – die Forschenden sprechen hier von der «Schnell-wachsen-jung sterben-Hypothese».
Aber welche dieser Wirkungen überwiegt die andere? Das ist die alles entscheidende Frage. Die Antwort bestimmt, ob die Wälder langfristig Kohlenstoff aus der Atmosphäre aufnehmen und binden können. Forscherinnen und Forscher der Universität Bern beleuchten diese Frage in einer Studie, die in der Fachzeitschrift AGU Advances veröffentlicht wurde.
Schweizer Wälder wachsen
«Frühere Studien haben gezeigt, dass schnelleres Baumwachstum nicht zu einem dauerhaften Anstieg der Kohlenstoffaufnahme in Wäldern führt», sagt Laura Marqués, Postdoktorandin an der Universität Bern, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Waldökosysteme beschäftigt. «Wir waren jedoch nicht ganz davon überzeugt, dass die Schnell-wachsen-jung sterben-Hypothese universell gültig ist. Deshalb haben wir beschlossen, eine Studie in Schweizer Wäldern durchzuführen», sagt Marqués.
Zur Person
Laura Marqués
ist Postdoktorandin am Geographischen Institut der Universität Bern. Sie schrieb ihre Doktorarbeit über die Anfälligkeit der Wälder im Mittelmeerraum gegenüber dem Klimawandel.
Die Forscher stützten ihre Studie auf einzigartige Daten aus Schweizer Wäldern, die mehr als siebzig Jahre zurückreichen, und stellten fest, dass die Wälder in der Schweiz immer dichter werden. Das heisst, die Anzahl Bäume und deren durchschnittliche Grösse haben über die vergangenen Jahrzehnte tendenziell zugenommen. Dies deutet darauf hin, dass das beschleunigte Wachstum der Bäume ihre verkürzte Lebensspanne aufwiegt. Aber ist dieses Ergebnis zuverlässig? Und wären andere Wälder ähnlich gewachsen?
Hitze und Dürre gefährden Wachstum
Um die Zuverlässigkeit ihrer Ergebnisse zu beurteilen, kombinierten Marqués und ihre Kolleginnen und Kollegen die Schweizer Walddaten mit Modellsimulationen. Dies ermöglicht es ihnen, zu verstehen, wie sich Wälder unter verschiedenen Umweltbedingungen entwickeln. «Unsere Simulationen zeigten, dass ein schnelleres Baumwachstum tatsächlich die Langlebigkeit der Bäume verringert, zum Beispiel durch die Konkurrenz um Licht», erklärt Marqués. «Doch trotz des Rückgangs der Langlebigkeit der Bäume führt dieses beschleunigte Wachstum fast immer zu einer anhaltenden Zunahme der Waldbiomasse und damit zu einer Netto-Kohlenstoffaufnahme in den Wäldern – zumindest in unserer Modellwelt.»
In der realen Welt spielen mehrere zusätzliche Faktoren eine wichtige Rolle und könnten in einem zukünftigen Klima noch wichtiger werden, wie die Forscher betonen: Extreme Trockenheit und Hitze können Bäume abtöten und die Wirkung des beschleunigten Wachstums umkehren. Das Risiko solcher Extremereignisse nimmt mit der globalen Erwärmung zu und könnte dazu führen, dass die Wälder den Klimawandel nicht mehr abmildern, sondern zu ihm beitragen, indem sie den Kohlenstoff freisetzen, den sie heute speichern.
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Und es gibt noch weitere Herausforderungen, wie Marqués betont: «Bei der Analyse von Walddaten ist es besonders schwierig, zwischen vom Menschen verursachten und Umweltfaktoren zu unterscheiden.» So muss eine zunehmende Waldbiomasse nicht unbedingt das Ergebnis eines beschleunigten Baumwachstums sein, sondern kann auch auf die Erholung von vergangenen natürlichen Störungen wie Stürmen oder Lawinen zurückzuführen sein. In den meisten Wäldern werden die natürlichen Veränderungen auch von forstwirtschaftlichen Eingriffen überschattet.
Für ihre Studie mussten sich Marqués und ihre Kolleginnen und Kollegen daher auf Daten aus Wäldern stützen, die seit langem nicht mehr bewirtschaftet wurden. In den Schweizer Naturwaldreservaten zum Beispiel wurden forstwirtschaftliche Eingriffe schon Jahrzehnte vor ihrer Einrichtung in den 1950er Jahren vollständig vermieden, um dem Wald eine natürliche Entwicklung zu ermöglichen. «Dies hat zu einer hervorragenden Datenbasis für unbewirtschaftete Wälder geführt», sagt Marqués.
Nächste Schritte
Die Ergebnisse der neuen Studie beschränken sich vorerst auf die nicht bewirtschafteten Wälder in der Schweiz. Der nächste Schritt wird sein, die für ihre Studie entwickelten Methoden auf andere Waldtypen anzuwenden. «Es bleibt abzuwarten, ob das funktioniert», räumt Laura Marqués ein, «aber ich bin zuversichtlich, dass wir es auf andere Gebiete ausweiten können. Die Modellvorhersagen sind eindeutig und werden durch empirische Beobachtungen gestützt.» Auf jeden Fall sammelt die Forscherin derzeit Daten aus verschiedenen Regionen, auch aus den Tropen, mit denen sie ihre Erkenntnisse aus der Schweiz in einen globalen Kontext stellen will.
Zur wissenschaftlichen Veröffentlichung
Über die Forschungsgruppe Erdbeobachtung und Modellierung (GECO)
Die Kombination von datenbasierten und modellbasierten Ansätzen ist die Expertise der GECO-Gruppe am Geographischen Institut und am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern. Geleitet wird die Gruppe von Benjamin Stocker, der kürzlich von der ETH Zürich an die Universität Bern gewechselt ist. Ein Schwerpunkt des interdisziplinären Teams ist die Entwicklung von datenbasierten Methoden zur Erkennung und Vorhersage der Auswirkungen von Klimaextremen und Mustern des Wasser- und CO2- Austauschs zwischen Vegetation und Atmosphäre.