Bringt Trump den Welthandel aus den Fugen?

Das World Trade Institute WTI prägt seit 25 Jahren das internationale Handelsrecht massgeblich. Gründer Thomas Cottier und Studiendirektorin Isabelle Van Damme diskutieren, was die Präsidentschaft Trumps für den Welthandel bedeutet und was das WTI zur Lösung aktueller Herausforderungen beitragen kann.

25 Jahre WTI: Isabelle Van Damme und Thomas Cottier schätzen den Standort Bern.

Herr Cottier, Bern gilt nicht als Wirtschaftsstandort par excellence. Warum befindet sich das Institut für Weltwirtschaft (WTI) nicht an der Wirtschaftshochschule in St. Gallen oder beim WTO-Sitz in Genf?

Thomas Cottier: Bern ist die Hauptstadt, hier wird die Handelspolitik gemacht. Aber dass wir in Bern daheim sind, liegt vor allem daran, dass wir vor einem Vierteljahrhundert hier das beste Angebot erhielten. 1999 gewährten uns die Silva-Casa-Stiftung und der Kanton Bern die Mittel, um das WTI in einer früheren Druckerei an der Hallerstrasse mit der Unterstützung des damaligen Rektors der Universität Bern, Christoph Schäublin, aufzubauen. In den ersten 15 Jahren kam ein Stipendienprogramm des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) hinzu. Zu Beginn waren wir eine private Stiftung, nicht aber Teil der Universität. Diese aber anerkannte unseren «Master of Advanced Studies in International Law and Economic (MILE)». Dann, als wir grosse SNF-Projekte an Land zogen, kam es 2007 zur Integration in die Universität Bern.

Was erfüllt Sie im Rückblick mit besonderer Genugtuung?

Thomas Cottier: Heute sind wir eines der weltweit führenden universitären Trainingsprogramme für Handelspolitik. Die meisten unserer über 500 Alumni wenden ihr hier erworbenes Wissen im privaten, öffentlichen oder akademischen Bereich an. Besonders freut mich, dass wir von Beginn weg die besten Fachleute aus den Bereichen Gesetzgebung, Wirtschaft und Politik für den Unterricht einladen konnten – und das zu einer Zeit, als der Begriff internationales Handelsrecht noch kaum geläufig war.

Zur Person

Thomas Cottier ist emeritierter Professor für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Bern und der frühere Direktor des WTI. Er machte seine Ausbildung an den Universitäten von Bern, Michigan und Cambridge. Von 1986 bis 1993 war er Mitglied des Schweizer Verhandlungsteams der Uruguay-Runde. 1999 gründete er das WTI und leitete es bis 2015. Cottier publizierte im Bereich der internationalen Handelsregulierung und des Aussenwirtschaftsrechts der EU und der Schweiz.

Und gibt es ein persönliches Highlight?

Thomas Cottier: Von 2006 bis 2017 leitete das WTI den Nationalen Forschungsschwerpunkt «Trade Regulation». Das Projekt bildete zahlreiche junge Forschende aus und befasste sich mit dem Verhältnis der Handelspolitik und andern Politikbereichen wie Menschenrechte und Umweltpolitik. Geforscht wurde auch an den damit verbundenen Fragen der Governance aus der Sicht des Rechts, der Ökonomie und der internationalen Beziehungen. Dabei verfolgten wir besonders die Entwicklungen in der WTO und formulierten Reformvorschläge. 

Also begleitet das WTI vor allem die Aktivitäten der WTO?

Isabelle Van Damme: Keineswegs. Natürlich war die WTI-Gründung 1999 eng mit der Gründung der WTO verbunden. Doch schon bald öffnete sich der Fokus, es ging auch um regionalen Handel, Lieferketten und Investitionen. Unsere Schwerpunkte waren schon immer die Schnittstellen von internationaler Wirtschaft, Politik und Gesetzgebung. Gewandelt haben sich nicht nur die Themen am WTI, sondern auch der Blick der Öffentlichkeit auf den Welthandel. Zur Jahrtausendwende wurde er noch überwiegend positiv gesehen. Doch heute ist die Kehrseite augenfällig.

Interviewsituation
Isabelle Van Damme, WTI-Studiendirektorin, und Thomas Cottier, Gründer des Instituts, schauen in die Vergangenheit und in die Zukunft des Instituts.

Thomas Cottier: Das Ende der Neunzigerjahre war weltpolitisch eine Zeit des Aufbruchs. Die Gründung der WTO 1994, das Ende des kalten Kriegs und die wirtschaftliche Öffnung Chinas brachten viele hoffnungsvolle Umbrüche mit sich. Die Globalisierung hatte damals geholfen, viele Menschen aus der Armut zu holen – und sie tut das weiterhin. Aber schon bald kehrten die Handelskriege zurück.


Es wäre jedoch falsch, das WTI als Advokatin von Freihandel und Globalisierung abzustempeln, welche die legitimen Ansprüche der Bevölkerung ignoriere. Vielmehr wollen wir helfen, die Globalisierung einzuordnen, ins Recht zu fassen und den Ausgleich aller Interessen zu suchen. Das zeigt auch der erwähnte Nationale Forschungsschwerpunkt, der unter dem Titel «Von der Fragmentierung zu Kohärenz» lief: Am WTI geht es darum, die internen Fragen des Handels mit externen Problemen zusammenbringen und gemeinsam zu diskutieren, um möglichst gute Lösungen und Regulierungsmechanismen zu finden.

«Es geht darum, den ganzen Herstellungsweg zu beobachten und dafür zu sorgen, dass dieser ökologischer und sozialer wird.»

Thomas Cottier

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Thomas Cottier: Nehmen wir den Wandel von den Produktstandards zu den Produktionsstandards: Nach hergebrachten Regeln sind die physikalischen Eigenschaften massgeblich, ob zwei Produkte gleich sind – und daher auch im Zollrecht gleich zu behandeln. Doch mit der Zeit wurde klar, dass nicht nur das Endprodukt, sondern auch der Weg dorthin wichtig ist. Es geht darum, den ganzen Herstellungsweg zu beobachten und dafür zu sorgen, dass dieser ökologischer und sozialer wird. Seither wird die Nachhaltigkeit in der Produktion immer wichtiger. Die Forschung am WTI hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet.

Beim neuen Präsidenten der USA scheint dieses Bewusstsein wenig ausgeprägt zu sein, vielmehr droht Donald Trump in alle Richtungen. Was erwarten Sie von seiner zweiten Präsidentschaft?

Isabelle Van Damme: Seine Drohungen sind nicht neu, viele hat er schon in der ersten Präsidentschaft ausgesprochen und teilweise auch umgesetzt. Schon damals gab Präsident Trump wenig auf bestehende multilaterale Institutionen, um Handelsdispute zu vermeiden oder juristisch zu verhandeln. Seine Administration bevorzugte einseitige Massnahmen, um ihre Interessen durchzuboxen, oder engagierte sich in Verhandlungen ausserhalb der multilateralen Ordnung.

«Meine Hoffnung ist, dass sich trotz diesem Störfeuer viele Staaten davon nicht beirren lassen.»

Isabelle Van Damme

Wie soll man sich einem solchen Unsicherheitsfaktor gegenüber verhalten?

Isabelle Van Damme: Für internationale Organisationen, die das regelbasierte System verkörpern und unterstützen, ist das bedrohlich. Meine Hoffnung ist, dass sich trotz diesem Störfeuer viele Staaten davon nicht beirren lassen. Es ist ein heikles Unterfangen, das Gleichgewicht zu halten: etwa am System der Streitbeilegung nicht nur festzuhalten, sondern dieses auch weiterzuentwickeln und sogar Verhandlungen über neue Themen in der WTO zu lancieren. Die Kunst wird sein, gewissen Ländern wie den USA zuzugestehen, sich temporär kaum mehr in der WTO zu engagieren, ohne aber die Mitgliedschaft aufzugeben. Und wir hoffen, dass gewisse Weiterentwicklungen früher oder später allgemein anerkannt werden – auch von jenen Staaten, die jetzt Desinteresse markieren.

Zur Person

Isabelle Van Damme ist Professorin für Internationales Wirtschaftsrecht und Studiendirektorin des WTI an der Universität Bern. Sie hat an der Universität Gent, dem Georgetown University Law Center und der Universität Cambridge studiert. Zuvor war sie in der Privatpraxis und als Referentin am Gerichtshof der Europäischen Union tätig. Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind die Verwaltung und Durchsetzung der EU-Sanktionsvorschriften sowie das Verfahrensrecht der Streitbeilegungsmechanismen der WTO und der Freihandelszonen.

Nicht nur Trump droht mit Zöllen, auch die EU geht diesbezüglich mit China auf Konfrontationskurs. Gerät der Welthandel aus den Fugen?

Thomas Cottier: Man muss unterscheiden: Wenn Trump davon spricht, chinesische E-Autos mit Strafsteuern von 100 Prozent zu belegen, ist das exzessiv und illegal, denn kein Produzent erhält 100 Prozent Subventionen. Die EU hingegen versucht, die Höhe der Subventionen aus China im Einklang mit dem WTO-Recht transparent zu berechnen. Die aktuellen Entwicklungen in den USA erinnern uns daran, wie wichtig ein regelbasiertes System im Welthandel ist. In den letzten zwei Jahrzehnten nahmen wir die Zusammenarbeit für mehr oder weniger gegeben. Handelspolitik interessierte nur wenige. Jetzt sind wir zurück bei einem getrennten Nebeneinander.

Der frühere WTI-Direktor Thomas Cottier ordnet die aktuellen Entwicklungen ein.

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Was kann das WTI in diesem Prozess beitragen?

Thomas Cottier: Die geopolitischen Veränderungen machen Handelsbeziehungen komplexer. Regierungen und Unternehmen brauchen Fachleute, die in den verschiedenen Facetten des Welthandels den Durchblick haben. Das ist es, was wir in der Ausbildung und dem Studium erreichen wollen. Heute sitzen unsere Alumni in Regierungsämtern, internationalen Organisationen und immer öfter auch in privaten Firmen: Sie verfolgen die Handelspolitik eng und beeinflussen sie oder wollen ihre Lieferketten widerstandsfähiger machen. Besonders wertvoll ist dazu die Interdisziplinarität, die wir am WTI pflegen.

«Das eigene Land krisensicher zu machen ist gut, aber das Konzept hat seine Grenzen.»

Thomas Cottier

Ihr letztes Forschungsprojekt hiess «Common Concern Of Humankind» und befasste sich damit, wie Regierungen wieder zusammenarbeiten können, auch wenn sie verfeindet sind. Was sind solche «gemeinsamen Interessen der Menschheit»?

Thomas Cottier: Der Klimawandel ist eine solche Herausforderung. Es ist im Interesse jedes einzelnen Landes, gemeinsame Antworten auf diese lebensbedrohliche Entwicklung zu finden. Hier müssen ideologische Meinungen zurücktreten. Als Folge der Klimaveränderung werden auch unsere Ernährungssysteme instabiler. Sich bei Missernten über Länder- und Kontinentsgrenzen hinweg auszuhelfen, wird in Zukunft wichtiger werden. Das eigene Land krisensicher zu machen ist gut, aber das Konzept hat seine Grenzen. Internationale Zusammenarbeit ist notwendig, um das Problem zu lösen. Das hat vor ein paar Jahren auch die Corona-Pandemie gezeigt.

Und wo hilft das WTI-Wissen schon heute?

Thomas Cottier: Nehmen Sie das Freihandelsabkommen, das die EFTA und die Schweiz mit Indonesien 2021 geschlossen haben. Es ist das erste weltweit, bei dem Aspekte der Nachhaltigkeit – es geht um die Palmölproduktion – im Sinn der vorgenannten Prozess- und Produktionsmethoden verbindlich festgeschrieben wurden. Oder auch das Freihandelsabkommen mit Indien, das die Schweiz noch vor der EU zum Abschluss bringen konnte. Etliche WTI-Abgängerinnen und Abgänger waren Mitglieder der indischen Verhandlungsdelegation. Hier zeigt sich der praktische Nutzen des WTI: Wer bei uns internationales Handelsrecht studiert hat, teilt ein gemeinsames Grundverständnis. Ohnehin ist Indien ein wichtiger Partner für das WTI.

Isabelle Van Damme: Wir bieten jedes Jahr in Delhi für 25 Studierende der besten indischen Universitäten ein gemeinsames Ausbildungsprogramm mit dem Indian Institute of Foreign Trade an. Zudem organisieren wir Sommer- und Winterkurse sowie Online-Seminare für Berufsleute. Das zeigt: Das WTI ist fest in der Praxis verankert.

«Das WTI soll die Interdisziplinarität unseres Masterabschlusses weiter ausbauen, denn das vernetzte Denken ist enorm wichtig für die spätere Praxis.»

Isabelle Van Damme

Frau Van Damme, seit letztem Sommer leiten Sie die Studien am WTI. Was fiel Ihnen bei Ihrem Umzug von Brüssel nach Bern auf? Und was sind Ihre Prioritäten am WTI?

Isabelle Van Damme: Bern ist in mehrfacher Sicht sehr attraktiv. Es ist eine ruhige Stadt und damit eine gute Basis für das Studium und die Forschung. Gleichzeitig ist man mit dem Zug rasch in Genf oder in einer anderen wichtigen Schweizer Stadt. Vor allem aber schätze ich an der Universität Bern die hohe und enorm vielfältige Kompetenz: Ich spaziere fünf Minuten – und schon bin ich bei Fachleuten für das Klima, aus der Landwirtschaft, Nachhaltigkeit oder Raumfahrt. Und da bin ich bei einem meiner Ziele für das WTI: Es soll die Interdisziplinarität unseres Masterabschlusses weiter ausbauen, denn das vernetzte Denken ist enorm wichtig für die spätere Praxis.  

Thomas Cottier und Isabelle Van Damme im Archiv des WTI
Der WTI-Gründer Thomas Cottier und die heutige Studiendirektorin Isabelle Van Damme in der WTI-Bibliothek.

Über das World Trade Institute

Das World Trade Institute (WTI) der Universität Bern ist eine führende akademische Einrichtung, die sich mit Studien-, Forschungs- und Öffentlichkeitsarbeit auf internationaler Ebene zu internationalen Handelsregulierungen und -investitionen befasst. Als Kompetenzzentrum an der Universität Bern mit drei vollen Professuren untersucht es die Zusammenhänge zwischen den Bereichen Recht, Wirtschaft und Politikwissenschaft.

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