Damit der Hass nicht die Oberhand gewinnt

Die Hetze im Netz ist zu einem schwerwiegenden gesellschaftlichen Problem geworden. Hatespeech verzerrt den öffentlichen Diskurs und lässt manche Stimmen verstummen. Auch Forschende werden angegriffen, allen voran Frauen. Die Universität Bern stellt sich dem entgegen.

Wenn sie vor ihrem Bildschirm sitzen, kennen sie kein Halten mehr: Wutbürgerinnen und Wutbürger, Trolle, Mitglieder politischer Gruppierungen und andere, die ihrem Ärger freien Lauf lassen. Sie diffamieren, beleidigen oder sexualisieren Menschen, die sich im Fernsehen, in Zeitungen oder in sozialen Medien exponieren. Dieses Phänomen wird Hatespeech genannt. Gegeben hat es das schon immer, aber durch die Digitalisierung ist es zu einem weitverbreiteten und schwerwiegenden gesellschaftlichen Problem geworden.

Was ist Hatespeech?

Eine wissenschaftlich oder rechtlich allgemeingültige Definition dafür gibt es nicht, aber im Grundsatz versteht man unter Hatespeech, wenn eine Person oder eine Gruppe aufgrund bestimmter Identitätsmerkmale beleidigt, abgewertet, diskriminiert oder bedroht wird. Das kann beispielsweise aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Herkunft, der Religion, des Alters, einer Behinderung oder des sozialen Status passieren. Zur Zielscheibe werden insbesondere Personen, die sich in der Öffentlichkeit exponieren, allen voran Frauen: Aktivistinnen, Journalistinnen, Politikerinnen. Hatespeaker haben vielfältige Profile, sie sind aber eher männlich und – gerade bei frauenfeindlichen Kommentaren – politisch rechts anzusiedeln. Die Hassrede ist zudem ein essenzielles Werkzeug von neuen rechten bis rechtsextremen Gruppierungen.

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«Frauen in der Wissenschaft»

Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Frauen in der Wissenschaft»

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Eine Gefahr für Demokratie und Institutionen

Die Folgen sind vielfältig: Für Betroffene ist es eine enorme psychische Belastung, im schlimmsten Fall endet die Hassrede mit physischer Gewalt. Gesellschaftlich führt sie dazu, dass sich Menschen aus dem öffentlichen Diskurs zurückziehen und auf politische Ämter verzichten. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat festgehalten, dass Hatespeech die Institutionen und den demokratischen Diskurs bedrohe. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in der öffentlichen Debatte einbringen, sind Hassreden ausgesetzt. An der Universität Bern machte 2021 der Fall der Astrophysikerin Susanne Wampfler und ihrer Kolleginnen Schlagzeilen, die sich nach einem Auftritt in der SRF-Sendung «Einstein» beleidigenden Kommentaren ausgesetzt sahen (siehe unten). Die Universität Bern nahm den Vorfall zum Anlass, ein vielfältiges Massnahmenpaket aufzugleisen. Damit ist sie unter den Schweizer Hochschulen eine Pionierin im Kampf gegen Hatespeech.

«Es hilft, einer Institution anzugehören, die Hatespeech nicht toleriert, hinter einem steht und sich für einen zur Wehr setzt.»

- Susanne Wampfler

Schulungen und Soforthilfe

«Wir sind einerseits strategisch, andererseits auch ganz konkret vorgegangen», sagt Gaia Fortunato von der Abteilung Chancengleichheit der Universität Bern. «Wichtig war, verschiedene Einheiten einzubeziehen, unter anderem die Uni-Leitung, um dem Thema die nötige Sichtbarkeit und Relevanz zu geben.» Als Erstes wurde 2021 eine Arbeitsgruppe gegen Hatespeech initiiert, in der verschiedene Abteilungen und Fakultäten mit interdisziplinärem Know-how vertreten sind. Diese beantragte bei der Universitätsleitung rasch ein umfassendes Massnahmenpaket, sodass Studierenden und Mitarbeitenden seit 2022 diverse Schulungen und Hilfsangebote zur Verfügung stehen. Alle Angebote sind auf der Website nohatespeech.unibe.ch aufgeführt. Eine interne Anlaufstelle unterstützt im Umgang mit Online-Kommentaren, Mails oder Shitstorms und vermittelt je nach Bedarf juristische oder anderweitige Hilfe. Auch finden regelmässig Medientrainings für Forschende statt. 

Studierende lernen den Umgang mit Hatespeech

Ausserdem bietet die Uni Bern ihren Studierenden eine rund zweistündige Online-Lerneinheit zu Hatespeech an. Das Modul ist eines von aktuell 13 Modulen, die sich rund um das Thema «Kompetenzen für die (digitale) Zukunft» drehen. Dabei erarbeiten die Studierenden mit Videos, Online-Quizzes oder Lektüreeinheiten Faktenwissen zu Hatespeech. Sie erhalten einen Überblick zur Definition und zu den rechtlichen Grundlagen und erkennen, wann gehässige Aussagen strafbar sind.

Gegenrede und Strafanzeigen

Eine Möglichkeit, sich Hass im Netz entgegenzustellen, ist die Gegenrede, auf Englisch «Counter Speech». Die Idee dahinter: Wenn eine Community bei Hasskommentaren aktiv dagegenhält, kann sie einerseits den Hass vermindern und andererseits die Diskussion wieder für alle öffnen (siehe Box). Eine weitere Handlungsoption sind Strafanzeigen. Zwar ist Hatespeech aus juristischer Sicht komplex, weil es noch keinen umfassenden, spezifischen Tatbestand dafür gibt. Doch häufig erfüllen Hasskommentare andere Straftatbestände, wie Ineke Pruin, Rechtsprofessorin an der Universität Bern, erklärt: «Man muss im Einzelfall prüfen, ob eine Aussage auf Grundlage der Diskriminierungsstrafnorm, von Ehrverletzung, Drohung oder Nötigung strafbar ist.» Bisher sind Aufrufe zu Hass und Diskriminierung aufgrund von Rasse, Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung strafbar, andere Kategorien wie Behinderung, Geschlecht oder sozialer Status fehlen. Ende 2024 haben sich die eidgenössischen Räte dafür ausgesprochen, auch Hassrede aufgrund des Geschlechts unter Strafe zu stellen. Nun wird ein Gesetzesartikel erarbeitet. 

Was hilft gegen Hatespeech?

Gegenrede: Mit Empathie gegen Hass

Eine Studie der ETH und der Universität Zürich zeigt: Wenn man mit Empathie auf gehässige Kommentare reagiert, nimmt der Hass ab. Aggressive Reaktionen hingegen sind kontraproduktiv. Hier sind einige Beispiele für einfühlsame Gegenrede:

  • «Hast du dir schon mal überlegt, was es bedeutet, sein ganzes Zuhause zurücklassen zu müssen, weil man flüchten muss?»
  • «Wie würde es Ihnen wohl gehen, wenn Sie nur auf Ihr Aussehen reduziert würden?»
  • «Ihr Post ist für Jüdinnen und Juden sehr schmerzhaft.»

Das Ziel einer solchen Gegenrede ist, das Verhalten der hasserfüllten Person zu beeinflussen, die Debatte zu verbessern und den stillen Mitlesenden zu zeigen, dass Hass keinen Platz hat.

stophatespeech.ch 

Rückendeckung für Betroffene

Grundsätzlich hält Ineke Pruin Strafanzeigen für ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Hass und Hetze, warnt aber davor, das Strafrecht als «Allheilmittel» zu sehen. Als noch wesentlicher erachtet sie die gesellschaftliche Rückendeckung für betroffene Personen. Dem stimmt auch Virginia Richter, Rektorin der Universität Bern, zu: «Gegen hasserfüllte und erniedrigende Reaktionen müssen wir uns wehren. Die Forscherinnen und Forscher haben meine volle Unterstützung.» Und diese Rückendeckung macht einen Unterschied. Astrophysikprofessorin Susanne Wampfler sagt es so: «Es hilft, einer Institution anzugehören, die Hatespeech nicht toleriert, hinter einem steht und sich für einen zur Wehr setzt.»

Susanne Wampfler: «In letzter Zeit ist es ruhiger geworden»

«Viele Menschen scheinen sich einen Astrophysikprofessor als 60-jährigen Mann vorzustellen. Weil ich diesem Bild nicht entspreche, wurde mir von manchen Menschen auch schon die Kompetenz abgesprochen und unterstellt, dass ich meine Professur Vitamin B verdanke. Als es 2021 nach einem Auftritt bei SRF so viele beleidigende Onlinekommentare gab, war es schwer zu verdauen, mich dagegen nicht wehren zu können. Noch heftiger sind sexualisierte Kommentare, die vor allem eine Kollegin von mir zu lesen bekam. Doch in letzter Zeit ist es ruhiger geworden. Das könnte damit zusammenhängen, dass auch die Medien sensibilisiert worden sind. Manche Onlineportale schalten gar keine Kommentarspalten mehr auf, andere moderieren sie besser. Sehr hilfreich ist, dass die Medienstelle der Universität Bern uns den Rücken stärkt. Sie interveniert beispielsweise bei Zeitungsredaktionen, damit diese abschätzige Kommentare sofort löschen. Auch als der damalige Rektor hingestanden ist und die Diffamierungen gegen Forschende der Universität Bern öffentlich verurteilt hat, hat das geholfen. Es wäre extrem schade, wenn wir Wissenschaftlerinnen unsere Expertise nicht mehr öffentlich äussern würden, weil wir die Reaktionen fürchten. Das Wissen, dass die Kritiker genau das erreichen wollen, motiviert mich, weiterhin aufzutreten. Und ich halte mir vor Augen, dass schon die Kämpferinnen fürs Frauenstimmrecht angegriffen wurden. Nun ist es an mir, diesen Teil zu stemmen, damit junge Menschen irgendwann unabhängig von ihrem Geschlecht entscheiden können, welche Karriere sie einschlagen möchten.»

Fabienne Amlinger: «Ich schütze mich sehr bewusst»

«Eigentlich bin ich überrascht, dass ich nicht häufiger mit Hatespeech konfrontiert bin. Denn als Mediensprecherin des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung (IZFG) exponiere ich mich in einem Feld, dem einige mit Abwehr begegnen und in dem rechte politische Netzwerke gezielt die Debatten fluten. Dessen bin ich mir seit vielen Jahren bewusst, und dieses Wissen hilft mir. Denn auch wenn es weniger ist als befürchtet, gibt es durchaus abschätzige und grenzwertige Kommentare bis hin zu Drohungen, wenn ich am Radio, in Zeitungen oder im Fernsehen meine Expertise anbringe. Das ist zuweilen happig und grundsätzlich inakzeptabel. Doch ich schütze mich sehr bewusst. Kommentarspalten in Onlinemedien lese ich nicht. Wenn mir jemand hingegen eine E-Mail schreibt, versuche ich zu antworten. Daraus haben sich schon interessante Mailwechsel ergeben, in denen wir am Ende gemeinsame Nenner gefunden haben. Ich möchte die Chance für Interaktion nutzen, denn ich erachte Gender Studies als wichtig für die ganze Gesellschaft. Doch in Einzelfällen, wenn mein Posteingang nach einem Zitat in den Medien überquillt, übergebe ich mein Postfach einer Mitarbeiterin. Diese sichtet die Mails, leitet strafrechtlich relevante weiter und löscht die anderen. Bei Drohungen wenden wir uns an den internen Rechtsdienst. Die Tatsache, einer Institution anzugehören, die mich durch den Rechtsdienst oder die Medienabteilung unterstützt, ist eine wichtige Rückendeckung!» 

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