Mit antarktischem Eis 1,2 Millionen Jahre zurückreisen

Einem Team von zwölf europäischen Forschungsinstitutionen ist es in der Antarktis gelungen, Eisbohrkerne mit Klimainformationen der vergangenen 1,2 Millionen Jahre und mehr zu heben. Die Universität Bern spielte bei diesem wissenschaftlichen Durchbruch eine wichtige Rolle.

Text: Kaspar Meuli 09. Januar 2025

Das Bohrteam in der Antarktis freut sich über den Vorstoss auf über 2'400 Meter Tiefe. Mit dabei sind Barbara Seth (obere Reihe, zweite von links) und Lison Soussaintjean (untere Reihe, zweite von rechts) von der Uni Bern. Bild: Beyond EPICA Project

Nach vier Bohrsaisons war das Ziel Anfang Januar 2025 erreicht. Im Camp Little Dome C wurde der antarktische Eisschild komplett durchdrungen, und in einer Tiefe von 2‘800 Metern stiess das Bohrteam auf den Übergang Felsgrund. Darüber befindet sich das älteste Eis der Erde, es beinhaltet Informationen, die mindestens 1,2 Millionen Jahre zurückreichen und stellt ein einzigartiges Klima- und Umweltarchiv dar. Grund genug für das 16-köpfige Team vor Ort, darunter zwei Berner Forscherinnen, die Korken knallen zu lassen.

Wissenschaftliches Neuland

«Nur Eis enthält in Blasen eingeschlossene Luft der Vergangenheit, die es ermöglicht, die Treibhausgaskonzentrationen der Vergangenheit direkt zu messen», sagt Hubertus Fischer, Professor für experimentelle Klimaphysik und Mitglied des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern. Er ist eine der treibenden Kräfte des EU-Projekts «Beyond EPICA – Oldest Ice», das soeben einen entscheidenden Durchbruch geschafft hat.

Der neue Eiskern der aus einer Tiefe von bis zu 2'800 Metern geborgen wurde. Bild: Beyond EPICA Project

In den drei vorangehenden Bohrkampagnen wurde bereits eine Tiefe von gut 1‘800 Metern erreicht. «In dieser Bohrsaison sind wir nun bis zum in 2'800 Metern Tiefe liegende Grundgestein vorgestossen – und haben damit definitiv wissenschaftliches Neuland betreten», betont Hubertus Fischer. «Als wir vor über zehn Jahren mit den Vorbereitungen begonnen haben, war noch höchst unsicher, wo und in welcher Qualität wir derart altes Eis finden würden, nun haben wir alle Ziele erreicht.»

Extreme Bedingungen für Feldforschung

Eiskernbohrungen in der Antarktis sind nicht nur logistisch sehr anspruchsvoll. Bohren lässt sich nur während zwei Monaten im antarktischen Sommer, und auch dann kommen die Forschenden im Feld an ihre Grenzen. Am Bohrstandort auf dem zentralantarktischen Plateau herrschen auf einer Höhe von 3’200 Metern über Meer und einer durchschnittlichen Sommertemperatur von minus 35 Grad Celsius extreme Wetterbedingungen. 

Die Sonne täuscht. Bei durchschnittlichen Temperaturen von minus 35 Grad Celsius auf einer Höhe von 3'200 Metern über Meer sind die Arbeitsbedingungen extrem. Bild: Beyond EPICA Project

Antworten auf Rätsel um Warm- und Kaltzeiten

Das laufende Projekt in der Antarktis baut auf dem European Project for Ice Coring in Antarctica (EPICA) auf, das um die Jahrtausendwende einen 800’000 Jahre alten Eiskern erbohrte, der anschliessend unter anderem an der Universität Bern analysiert wurde. Den Berner Forschenden gelang es damals, die CO2-Konzentration über die letzten 800'000 Jahre zu rekonstruieren – ein Weltrekord, der nun um 400'000 Jahre erweitert wurde. Der neue Eiskern soll insbesondere zum besseren Verständnis des Wechselspiels zwischen Warm- und Kaltzeiten beitragen. Vor etwa einer Million Jahren – das zeigen Untersuchungen von Meeressedimenten – fand eine Veränderung dieses Hin und Hers statt. Weshalb es zu diesem Wandel kam, ist ein Rätsel, doch die Klimaforschung vermutet, dass unter anderem Treibhausgase dabei eine entscheidende Rolle spielten. Diese Vermutung soll nun anhand des ältesten Eises überprüft werden.

Sublimationsextraktion ermöglicht es, aus einem Eiskern kleinste Luftproben kontinuierlich und ohne Verunreinigung zu gewinnen. © Abteilung für Klima- und Umweltphysik, Universität Bern

Zentrale Rolle bei der Eisanalyse

Bei der Analyse des Eiskerns spielt wiederum die Universität Bern eine zentrale Rolle. Finanziert durch europäische und Schweizer Forschungsmittel, ist es dem Team von Hubertus Fischer gelungen, völlig neue Analysetechniken zu entwickeln. Das Besondere daran: Alle Treibhausgase können mit einer einzigen Analyse gleichzeitig gemessen werden. Mehr noch, die aus den Eisproben extrahierte Luft geht bei den Messungen nicht verloren, sondern kann danach für weitere Forschungsarbeiten verwendet werden. Von «perfektem Recycling» spricht Hubertus Fischer und sagt: «Für einen gewöhnlichen Eiskern würde sich der Riesenaufwand, den wir dazu betreiben müssen, nie rechtfertigen.» Für das älteste Eis der Erde, von dem nur sehr kleine Mengen verfügbar sind, hingegen schon.

Zur Person

Hubertus Fischer

ist Leiter der Abteilung Klima und Umweltphysik und ein weltweit anerkannter Spezialist für die Analyse von Eisbohrkernen als Klimaarchiv.

Kontakt
 

Beyond EPICA – Oldest Ice

Am Projekt «Beyond European Project for Ice Coring in Antarctica (EPICA) – Oldest Ice» sind zwölf europäische Forschungsinstitutionen beteiligt und das Projekt kostet gegen 30 Millionen Euro.

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