Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»
Braucht die Schweiz einen eigenen Elon Musk?
In einer internationalen Umfrage wurden die Menschen gefragt, ob sie eine Expertenregierung der Demokratie vorziehen würden. So haben Schweizerinnen und Schweizer geantwortet.

Immer dann, wenn die Demokratie in eine Sackgasse geraten ist und die politisch Verantwortlichen nicht mehr weiterwissen, wird der Ruf nach Expertenregierungen laut. In Italien half ein «governo tecnico» beispielsweise immer wieder einmal den politisch Verantwortlichen aus der Patsche und wendete die eine oder andere Staatskrise ab. Und erst kürzlich hat der österreichische Bundespräsident ein solches Konstrukt als möglichen Ausweg aus dem dortigen Koalitionsschlamassel in Aussicht gestellt.
Hierzulande ist dieser Behördentypus bislang kein Thema. Oder etwa doch? Was halten Sie eigentlich von einer Regierung voller Expertinnen und Experten, fernab von parteipolitischem Gezänk und Ränkespielen? Und wäre eine solche Technokratie in der Schweiz überhaupt vorstellbar? Vielleicht sogar ein Elon Musk?
Schwindende Parteibindungen und Kompromissbereitschaft, schwächelnde Parteien, allerorten Polarisierung und wenig Vertrauen in die Politikerinnen und Politiker: Was liegt da näher, als die Verantwortung in die Hände von parteilosen Expertinnen und Experten zu legen? Eine solche Technokratie kann verschiedene Formen annehmen, von beratenden Positionen für Sachverständige bis hin zur Ernennung unabhängiger technokratischer Führungskräfte oder gar ganzer Kabinette. Klar ist jedenfalls: Die Technokratie ist in ihrem Kern elitär. Sie schreckt nicht davor zurück, ausgewählte Kräfte zu ernennen, die sich durch Fachwissen, herausragende akademische Qualifikationen, Intellekt oder Know-how von den einfachen Leuten unterscheiden.
Keine Parteigelüste mehr
Fachpersonen haben zwar auch in einer Demokratie einen gewissen Einfluss, die Entscheidungen werden aber letztlich von gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertretern getroffen. In einer Technokratie hingegen sitzen Expertinnen und Experten an den Schalthebeln der Macht und geben unabhängig von Parteiparolen die Richtung vor. Da die Regierungsmitglieder nicht gewählt werden, sind sie vor Partikularinteressen geschützt und können im Interesse der Allgemeinheit handeln. Anstelle von Parteigelüsten, kleinteiliger Klientelpolitik und ideologischer Kabale dominieren in dieser technischen Regierungsform Effektivität und Effizienz.
Mit anderen Worten: An die Stelle hitziger und verworrener politischer Debatten treten messerscharfe und kühle Expertisen. Da im technokratischen Denken zudem objektiv erkennbar ist, was eine Gesellschaft voranbringt, dienen die von den Fachleuten initiierten Prozesse ausschliesslich der Erreichung übergeordneter und weitgehend unstrittiger Ziele. Statt der Repräsentation vielfältiger Interessen oder der Suche nach demokratisch legitimierten Lösungen zählt für die Auserwählten allein rationales, unabhängiges und stets am Gemeinwohl orientiertes Handeln.
Dieses schnittige Herrschaftsdesign gibt es allerdings nicht zum Nulltarif. Neben einem offensichtlichen Demokratiedefizit und einer antipluralistischen Grundordnung konzentriert sich die Macht in den Händen weniger, die nicht rechenschaftspflichtig sind und natürlich auch ihren eigenen Interessen folgen können.
Eigene Umfragen belegen freilich: Im angelegten Spannungsfeld zwischen Demokratie und Effizienz zeigen die Menschen in der Schweiz im Vergleich zu den Bevölkerungen anderer Länder eine relativ klare Kante. Während beispielsweise in Frankreich fast die Hälfte der Bevölkerung die politischen Entscheidungen lieber auserlesenen Expertinnen und Experten überlassen würde, zieht in der Schweiz nur rund ein Viertel die Spezialisten den gewählten Politikerinnen und Politikern oder dem Volk vor. Würde ein Elon hierzulande also seine Muskeln spielen lassen, dürfte er wohl auf heftige Gegenwehr stossen.
Zweitveröffentlichung
Tamedia-Kolumnen auf uniAKTUELL
Die Tamedia-Kolumnen von Markus Freitag sowie von Adrian Vatter und Rahel Freiburghaus erscheinen auch im uniAKTUELL.
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern
Das IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse.
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