Streeruwitz: «Enthusiastischer Widerstand bleibt notwendig»

Sie ist eine der meistgehörten kritischen Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Marlene Streeruwitz hat einen Essay über ihre Zeit in Bern für uns verfasst, zum Ende ihrer Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur.

Text: Marlene Streeruwitz 29. Januar 2025

© FischerVerlage, Bild: Mafalda Rakoš

Bern. Diese bescheidene Hauptstadt in graugrün. Die wunderbarsten Landschaften mitten in der Stadt. Die Stadt unversehrt. Kein Krieg hat die Rauchfänge durch Bombenexplosionen zerstört. Die Rauchfänge sind nicht hastig irgendwie in einem Wiederaufbau ersetzt worden. Alles passt zusammen. Die Geschichte ist gegenwärtig. Nichts wurde gewalttätig unterbrochen.

Und wie zum Schweizerischen passend. Der Unterricht findet in einer ehemaligen Schokoladefabrik statt.

Hätte ich als Studentin ein Seminar gewählt wie das, das ich abhielt? Als Friedrich Dürrenmatt Professorin für Weltliteratur?

Weltliteratur in der Berner Stadtwelt

Nun. Ich hätte immer den Begriff «Weltliteratur» örtlich aufgefasst und eine hierarchisch normierende Auslegung abgelehnt. Wie ja schon Dürrenmatts territoriale Inbesitznahme Berns als das «Dorf», das er überall mit hinnehmen kann, einer sehr anderen Schicht des Kulturellen zuzurechnen ist. Dürrenmatt bekennt ja, dieses Dorf «Bern» besitzend, immer in Bern sitzen bleibend zu schreiben. Und Bern nun ein wenig kennend, kann ich mir das schon vorstellen. Da schaut einer auf diese intakte Stadtwelt. Geht bei Sonnenschein auf dem Katzenkopfpflaster der Kramgasse. Flüchtet bei Regen in die Arkaden. Hat das Münster über sich ragen. Steigt in den Bärengraben hinunter und eilt die Aare entlang. Hat das vorsichtige Goldglänzen des Bundeshauses hinter sich. Vor sich. Bern ragt ja auf und verbirgt das gleich wieder der sich nähernden Person im steilen Aufstieg. Oben dann. Da kann diese Person nun selber ragen. Im Ausblick von der Terrasse vor dem Bundeshaus. Oder ist das hinter dem Bundeshaus?

Geschichten im Spiegel des Literarischen

Und wie bei jeder solcher Poetik Professur. Es stellt sich die Frage, ob Literatur überhaupt gelehrt werden kann. Und für Bern stellte sich mir die Frage, ob diese nun so andere Welt schweizerischer Geschichte zu anderen Personenkonstruktionen führt und wie das im Literarischen sich spiegeln könnte. Ob also Familiengeschichten, in denen die Kriege sich nicht mit Leid und Tod und all diesen kriegsbedingten Verlusten in die Leben schlagen. Und die Rauchfänge sind da stete Erinnerung. Ob solche Familiengeschichten eine andere Literatur nach sich ziehen. Und selbstverständlich ist das so. Aber wie weit wir da voneinander entfernt sind und dann gleich wieder nicht. Das stellte sich in der Auseinandersetzung mit den Student*innen heraus. Oder beim Besuch eines Abends mit Beat Sterchi, Pedro Lenz und Guy Krneta in der Stanzerei in Baden. Oder bei den Besuchen von Poetry Slams im Ono. Bei Diskussionen im Demokratieturm. Bei Diskussionen an der Uni.

Es ist eine andere Geduld miteinander, die da vorliegt. Daraus ergibt sich ein ruhigeres Verhältnis zur Zeit. Es gibt sehr viel mehr Platz, der einander gelassen wird. In der Öffentlichkeit. Also auch im Seminar. Es wird erwogen. Die Argumente werden vorgelegt. Es wird kein Schluss aus den Argumenten gezogen. Erst im selbstgewählten Ambiente wie so eines Abends in der Stanzerei. Da werden die Argumente zu Ende geführt und eine Meinung zeigt sich. Vorsichtig.

Männliche Gegnerschaft, die Neue Rechte und Frauensolidarität

Nun. Literatur ist nichts als Meinung. Meine Literatur. Von den Verhältnissen seit den 80er Jahren bin ich in diese feministische Opposition gezwungen, die mir diesen distinkten Stil abverlangt. Verzweiflung und das Schreien daraus. Und die Verzweiflung ist das Ergebnis wiederum der Geschichte des Deutschsprachigen von der Schweiz abgesehen. Hier. Kriegsbedingt waren die Geschlechterkonstruktionen der bürgerlichen Gesetzbücher längst ausser Kraft. Aber weder die linken Parteien noch die rechten nahmen die Mitarbeit der Frauen als theoretischen Nachvollzug dieser Veränderungen friedlich an. Die Frauen mussten sich ihre gesetzliche Anerkennung im Widerstand gegen die männlich begründeten kulturellen Gegebenheiten erkämpfen. Weiterhin bleibt solche Gegnerschaft aufrecht. Ja. Diese Gegnerschaft ist die Bewegungsform der Neuen Rechten, die mit einer nationalistisch militarisierten Personenkonstruktion dem altmodisch Männlichen der bürgerlichen Gesetzbücher zu neuer Dominanz verhelfen. Enthusiastischer Widerstand bleibt notwendig. Mir jedenfalls.

Aber das. So lernte ich im Gosteli-Archiv. Das ist eine ganz andere Geschichte in der Schweiz. Hier war es Frauensolidarität, die die Fortschritte in den Gleichheiten bewerkstelligte und nicht schon in Fraktionen zersplitterte Frauenpolitik. Das habe ich gerne gelernt. Und das erklärte mir auch die so gleichen Reaktionen von Studenten oder Studentinnen. Da gab es dann kein Aufbrausen über Ungerechtigkeiten. Denn. Jede Person verstand die geschilderten oder erlebten Situationen gleich, hielt aber ihre eigene Meinung zurück und schaute meinem Meinungsüberschwang freundlich zu.

Die eigene Erfahrung bleibt Schlüssel für das Verständnis der Welt

 

«Im Digitalen ist ja jeder Text schon nur noch das Zitat seiner selbst und liegt zur Vernutzung herum, wie uns das die künstliche Intelligenz vorführt.»

- Marlene Streeruwitz

Zwar ist die Schweiz auch kein Paradies der Gleichberechtigtheit. Dazu ist die Notwendigkeit struktureller Unterscheidung von Gruppen zu gross. So werden Fragen die Frauen betreffend von rechts aufrechterhalten, um eine Hierarchie in der Gesellschaft sichtbar und in Fragen der Migration benutzbar zu lassen. Aber im Seminar war das eine neue Erfahrung für mich, dass ich die Gleichberechtigtheiten nicht argumentieren musste. Das war hilfreich. Schliesslich ging es um das Gerade Jetzt. Vor allem darum, wie die Referenzialität der digitalen Kultur sich auf die Literatur auswirken wird. Im Digitalen ist ja jeder Text schon nur noch das Zitat seiner selbst und liegt zur Vernutzung herum, wie uns das die künstliche Intelligenz vorführt. Aber. Dass die eigene Erfahrung weiter der Schlüssel für das Verständnis der Welt bleiben wird, zeigte sich mir beim Besuch einer Gerichtsverhandlung in Bern. Die da verhandelte Geschichte verfeindeter Brüder ist nur in Textform erfassbar. Ob als Reportage oder Roman. Ob in Text oder Bildern. Es wäre immer nur ein Literarisches, das gegen das Untergehen der einzelnen Leben in Protokollen, Statistiken und Soziologien ankämpfen kann.

Trumps Wahl: blankes Unverständnis bei den Studierenden

Warum es nun gut für mich war, diese Professur abzuhalten? Das zeigt sich mir erst im Nachhinein. Jetzt. Jeden Tag. Ich hatte ein Schreibprojekt nach Bern mitgenommen, das sich mit der Rolle des Königs in einer Barockoper beschäftigte. Nun. Die Wahl Trumps in den USA, der sich schon vor der Wahl explizit zum König deklarierte. Dieser ungeheuerliche Punkt einer Zeitenwende in der Weltgeschichte. Dieser Rückfall vor die US-amerikanische Revolution. Diese Rückkehr in das Jahr 1740, in dem die von mir zu bearbeitende Barockoper uraufgeführt wurde, in der vorsichtig Kritik an der Position des Königs geübt wird. Diese Auflösung der uns geläufigen Umstände. All das in einer Umgebung zu erleben, die geschichtlicherweise am weitesten vom König entfernt ist. Dafür bin ich allen Personen in Bern und der Schweiz sonst dankbar. Besonders aber den Student*innen. Das blanke Unverständnis für den Vorgang einer solchen Königsernennung half mir ungemein und ich freue mich auf die Arbeiten, die geschrieben werden. Kleine Schritte in Welterfassung werden das sein. Weltliteratur, weil auf der Welt.

Vielen Dank für die Einladung. Oliver Lubrich.

Zur Autorin

© FischerVerlage, Bild: Mafalda Rakoš
© FischerVerlage, Bild: Mafalda Rakoš

Marlene Streeruwitz

ist eine österreichische Autorin und Regisseurin und lebt in Wien, London und New York. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter zuletzt den Preis der Literaturhäuser und den Wiener Buchpreis. Ihre jüngst erschienenen Bücher sind die Romane «Flammenwand.» (2019) und «Tage im Mai.» (2023) sowie die Bände «Handbuch gegen den Krieg.» (2024) und «Handbuch für die Liebe.» (2024). Demnächst erscheint ihr neuer Roman «Auflösungen. New York.». Ihr für alle offenes Seminar als Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorin nannte Streeruwitz «Das Literarische der Wirklichkeit».

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Über die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur

Die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur erweitert das akademische und kulturelle Angebot in Bern und darüber hinaus. Seit dem Frühjahr 2014 unterrichtet in jedem Semester ein internationaler Gast an der Universität Bern. Die Autorinnen und Autoren geben je eine 14-wöchige Lehrveranstaltung und arbeiten wie reguläre Professorinnen und Professoren mit Studierenden und Doktorierenden zusammen. Zusätzlich zu ihren Seminaren oder Vorlesungen werden universitäre und öffentliche Veranstaltungen in Bern sowie an anderen Orten in der Schweiz organisiert. Die Gastprofessur wurde geschaffen mit Hilfe der Stiftung Mercator Schweiz, und sie wird durchgeführt mit Unterstützung der Burgergemeinde Bern. Initiator und Projektleiter ist Oliver Lubrich, Professor für Germanistik und Komparatistik an der Universität Bern.

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