Zwei neue Fischarten in Schweizer Gewässern entdeckt

Die Bevölkerung kann per Umfrage mitentscheiden, wie zwei Fischarten heissen sollen, die Bárbara Calegari und ihre Kolleginnen und Kollegen entdeckt haben. Im Interview erklärt die Biologin, wo sie leben und wie die Vielfalt in unseren Gewässern sichtbar gemacht wird.

Interview: Patrizia Jaeggi 28. Januar 2025

Forschende bei der Feldarbeit im Tessin. Sie sammeln mit der Methode der Elektrofischerei Fische, um die Artenvielfalt und ökologische Daten zu erheben. © Bárbara Calegari

Frau Calegari, Sie haben zwei neue Fischarten entdeckt – waren Sie überrascht?

Bárbara Calegari: Nein, nicht wirklich. Die von uns untersuchte Fischgattung Barbatula, auch Bartgrundel oder Bachschmerle genannt, ist bekannt für ihre genetische Vielfalt. Die einzelnen Arten weisen jedoch eine ähnliche Morphologie auf, also ähnliche äussere Merkmale, was Unterschiede schwer erkennbar macht. Die Gattung wurde bereits von frühen Naturforschern beschrieben, seither jedoch kaum weiter untersucht.

Wo haben Sie die neuen Fischarten entdeckt?

Die neuen Arten wurden beide in Schweizer Gewässern entdeckt, besiedeln aber unterschiedliche Lebensräume. Eine Art lebt in den schnell fliessenden Bächen und Flüssen des Rheinsystems und erstreckt sich bis in den Donaudurchbruch in Bayern, Deutschland und Österreich. Die andere Art lebt in den ruhigeren Seen des Aare-Systems und kommt im Neuenburger-, Bieler-, Vierwaldstätter-, Zürich- und Walensee vor. Fische der Gattung Barbatula bewohnen Gewässer in Europa und Asien.

Wie konnten Sie sicher sein, dass es sich um neue Arten handelt?

Wir haben die Fische umfassend untersucht: mit modernen genetischen Methoden, in Bezug auf äussere Merkmale (Morphologie), den Aufbau und die Struktur der Knochen (Osteologie) sowie ihren Lebensraum (Ökologie). Die Untersuchungen zeigten konsistente Unterschiede, so dass die beiden neuen Arten bestätigt und validiert werden konnten.

Mitmachen und gewinnen!

Bárbara Calegari und das Team der Universität Bern, des Naturhistorischen Museums Bern und der Eawag haben in Zusammenarbeit mit der Wyss Academy for Nature, dem Kanton Bern, dem Bundesamt für Umwelt und dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Fischerei zwei neue Fischarten in Flüssen und Seen der Schweiz entdeckt. Bestimmen Sie jetzt mit, wie die beiden neuen Fischarten heissen sollen und mit etwas Glück können Sie zwei Tickets für das Naturhistorische Museum Bern gewinnen!

Probenahmestelle an der Emme im Kanton Bern, wo eine der beiden neuen Arten entdeckt wurde. © Conor Waldock
Probenahmestelle an der Emme im Kanton Bern, wo eine der beiden neuen Arten entdeckt wurde. © Conor Waldock

Wie heben sich die neuen Fischarten von bereits bekannten Arten ab?

Die neuen Fischarten heben sich sowohl morphologisch als auch genetisch deutlich von den 13 bisher bekannten europäischen Barbatula-Arten ab. Morphologische Unterschiede zeigen sich insbesondere in der Kopf- und Körperstruktur: So z.B. darin wie abgeflacht oder wie lang der Rumpf ist, in Länge und Lage des Kopfes relativ zum Körper, der Breite des Kopfes und des Augenabstands sowie in der Pigmentierung von Bauch und Brust. Im Vergleich zueinander weisen die beiden neuen Arten Unterschiede auf, die mit ihren Lebensräumen zusammenhängen. Die Art, die in schnell fliessenden Gewässern lebt, hat grössere und kräftigere Brustflossen, die ihr Stabilität geben und Halt in turbulenten Strömungen ermöglichen. Dagegen besitzt die Art aus den ruhigeren Gewässern kleinere und filigranere Brustflossen und eine grössere Schwimmblase, die eine bessere Auftriebskontrolle in den unterschiedlichen Wassertiefen ermöglicht.

Die neu entdeckten Fischarten. Oben: Barbatula-Art aus den ruhigeren Gewässern. Unten: Barbatula-Art aus den schnell fliessenden Gewässern. © Bárbara Calegari
Die neu entdeckten Fischarten. Oben: Barbatula-Art aus den ruhigeren Gewässern. Unten: Barbatula-Art aus den schnell fliessenden Gewässern. © Bárbara Calegari

Wieso können in der Schweiz überhaupt noch neue Fischarten entdeckt werden? Sind nicht längst alle Arten bekannt?

Nein, weltweit gibt es zwar rund 36'400 bekannte Fischarten, doch viele sind noch unentdeckt. Allein in Europa schätzt man, dass etwa 800 Arten noch beschrieben werden müssen. In der Schweiz werden Fischarten oft übersehen, da ihre Lebensräume als gut erforscht gelten. Da viele europäische Arten vor über 200 Jahren beschrieben wurden, widmeten sich in den letzten Jahren nur wenige Forschende diesen Populationen. Dank moderner DNA-Analysen können jedoch heute genetische Unterschiede leichter entdeckt und neue Arten identifiziert werden.

Können Sie einen Geheimtipp geben – wenn man weitere Fischarten entdecken will, wo sucht man am besten?

Das ist nicht so einfach zu sagen. Die Entdeckung neuer Fischarten erfordert umfangreiches Fachwissen und beginnt häufig mit dem Fang eines ungewöhnlichen Exemplars in der Natur oder indem man in Museumssammlungen unidentifizierte Exemplare findet. In abgelegenen, wenig erforschten Gebieten wie etwa den tropischen Regionen ist die Chance höher, neue Arten zu finden.

Forschungsteam bei der Entnahme von Fischproben in der Langete mit der Methode der Elektrofischerei. © Dario Josi
Forschungsteam bei der Entnahme von Fischproben in der Langete mit der Methode der Elektrofischerei. © Dario Josi

Was ist das weitere Vorgehen, wenn eine neue Fischart entdeckt wird?

Wird bestätigt, dass es sich um eine neue Art handelt, werden ausgewählte Exemplare als Typusmaterial in eine wissenschaftliche Sammlung aufgenommen und der Forschung zugänglich gemacht. Danach erfolgt die formale Beschreibung der Art – ein unverzichtbarer Schritt für die Dokumentation der biologischen Vielfalt. Dabei werden Merkmale wie Aussehen, Unterschiede zu verwandten Arten, Lebensraum und der Name dokumentiert. Abschliessend wird alles in einer Publikation festgehalten, die als Grundlage für weitere Studien und die Identifikation weiterer Exemplare dient.

Bárbara Calegari entnimmt genetische Proben von Fischen aus der Emme. © Conor Waldock
Bárbara Calegari entnimmt genetische Proben von Fischen aus der Emme. © Conor Waldock

Wie kommen neue Fischarten zu Namen? Werden die Fische nach Ihnen benannt, also Calegari 1 und Calegari 2?

Nein, es ist nicht üblich, eine neue Art nach sich selbst zu benennen. Die Namensgebung ist ein kreativer Prozess, der mir viel Freude bereitet. Es ist zwar möglich, eine Art nach einer Person zu benennen, meist wird jedoch ein Name gewählt, der ein besonderes Merkmal der Fischart widerspiegelt – sei es das Aussehen, die Region ihres Vorkommens oder ein Aspekt ihres Lebensraums. Wissenschaftliche Namen sind oft lateinisch oder griechisch und folgen der binomischen Nomenklatur: Sie bestehen aus dem Gattungsnamen, in unserem Fall Barbatula, und einem spezifischen Epitheton, also dem zweiten Teil des wissenschaftlichen Namens, der eine genauere Beschreibung oder Unterscheidung der Art liefert. Dieser zweite Teil fehlt bei unseren Fischarten noch. Für die beiden neuen Arten möchten wir dafür der Bevölkerung die Möglichkeit geben, in einer Umfrage die Namen mitzubestimmen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Bevölkerung an der Benennung der Fische teilhaben zu lassen?

Ich denke, es gibt uns eine gute Möglichkeit, das Bewusstsein für die Biodiversität in der Bevölkerung zu stärken. Die Menschen können mehr über die Fischarten in ihren Gewässern erfahren und gleichzeitig auf den besorgniserregenden Rückgang der Artenvielfalt aufmerksam gemacht werden, besonders in aquatischen Ökosystemen. Indem wir die Bevölkerung aktiv in den Entdeckungsprozess einbeziehen, möchten wir eine tiefere Verbindung zur Natur fördern, Interesse an der Wissenschaft wecken und zum Schutz der Biodiversität auch unter Wasser motivieren.

Bárbara Calegari am Vierwaldstättersee bei der Bearbeitung von Fischproben für genetische und morphologische Untersuchungen. © Bernhard Wegscheider

Wie kann die Entdeckung von Fischarten zum Artenschutz beitragen?

Die Entdeckung neuer Arten ist entscheidend für den Artenschutz – denn was wir nicht kennen, können wir auch nicht schützen. Die Beschreibung einer Art dokumentiert ihre Existenz und ermöglicht eine angemessene Erhaltungsplanung. Intakte Süsswasserökosysteme sind auch für den Menschen wichtig, und das Verständnis ihrer Vielfalt ist der Schlüssel zum Schutz dieser Lebensräume mit ihren bereits bekannten Arten, aber auch der vielen noch unentdeckten und zu beschreibenden Arten.

Bárbara Calegari und Conor Waldock messen während der Feldarbeit an der Emme Grösse und Gewicht der Fische und fotografieren sie. © Dario Josi.
Bárbara Calegari und Conor Waldock messen während der Feldarbeit an der Emme Grösse und Gewicht der Fische und fotografieren sie. © Dario Josi.

Zur Person

Bild: zvg

Dr. Bárbara Borges Calegari

Ist Taxonomin, Phylogenetikerin und Evolutionsbiologin. In ihrer Forschung untersucht sie die biologischen Muster und die ökologischen und evolutionären Prozesse, die in ihrer Kombination die biologische Vielfalt der Fische im Laufe der Zeit geprägt haben. Derzeit arbeitet sie als Postdoc am Institut für Ökologie und Evolution in Zusammenarbeit mit der Wyss Academy for Nature an der Universität Bern an einem gross angelegten Projekt, dessen Ziel die Minderung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Vielfalt der Süsswasserfische in der Schweiz ist.

Kontakt: barbara.calegari@unibe.ch

Abteilung für Aquatische Ökologie und Evolution

Fische sind die vielfältigste Gruppe von Wirbeltieren, spielen eine Schlüsselrolle in aquatischen Ökosystemen, bieten eine breite Palette von Ökosystemleistungen und sind empfindlich gegenüber Umweltveränderungen. Die Abteilung für Aquatische Ökologie und Evolution am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern untersucht ihre Ökologie, Evolution sowie den Schutz und befasst sich mit der Vielfalt der Fische, von Merkmalen und Genen in Populationen bis hin zur Vielfalt der Artenzusammensetzungen, deren Veränderungen im Laufe der Zeit und den Auswirkungen auf die Ökosysteme.

Weitere Informationen

Projekt LANAT-3

Bárbara Calegari und das Team der Universität Bern, des Naturhistorischen Museums Bern und der Eawag haben die unbekannten Fischarten im Rahmen des Projekts LANAT-3 im Auftrag der Wyss Academy for Nature, des Kantons Bern und des Bundesamts für Umwelt (BAFU), in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Kompetenzzentrum Fischerei entdeckt.

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