Psychologie
«Gefährlich wäre, die Digitalisierung einfach mit uns geschehen zu lassen»
Malte Elson hat die neu geschaffene Professur «Psychologie der Digitalisierung» angetreten. Wozu diese Disziplin nützlich ist, warum er digitale Selbstbestimmung für einen «politischen Modebegriff» hält und Medienkompetenz für eine Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts, erläutert er im Interview.
Was ist hier echt, was ist fiktiv? Dieses Bild haben Fotograf Dres Huchacher und Grafiker Eric Zankl mithilfe einer künstlichen Intelligenz erstellt. Mehr dazu hier.Eine ganz grosse Frage an den Psychologen zu Beginn: Sind wir menschlich für die Digitalisierung gerüstet?
Malte Elson: (lacht) Die Digitalisierung ist ja kein Tor zur Hölle. Wir Menschen sind sehr anpassungsfähig, das ist eine unserer besten Eigenschaften. Wenn nötig, können wir sehr schnell lernen, grosse Herausforderungen zu bewältigen.
Aber?Die Digitalisierung zu begreifen und vor allem lenken zu können, passiert nicht von selbst. Wir müssen es lernen. Es wäre gefährlich, sie nicht zu regulieren und einfach mit uns geschehen zu lassen.
Brauchen wir deshalb eine «Psychologie der Digitalisierung»?Kurz gesagt hilft sie uns, Chancen und Risiken von digitalen Veränderungen in den unterschiedlichen Lebensbereichen zu verstehen, indem sie den Menschen in den Blick nimmt – in der Arbeitswelt, im Privatleben, in der Bildung. Als Verhaltenswissenschaft kann sie untersuchen, wie wir die Digitalisierungsprozesse zum Wohle der Gesellschaft moderieren und gestalten müssen.
Die digitale Revolution ist seit Ausgang des 20. Jahrhunderts im Gang, aber ihre psychologischen Seiten scheinen in Entwicklung und Forschung lange stiefmütterlich behandelt worden zu sein.Wer die Digitalisierung als Technologieprojekt versteht, ist auf einem Auge blind. Wir müssen die Menschen beim digitalen Wandel mitnehmen. So ist man erst vor relativ kurzer Zeit im Bereich der Informationssicherheit auf den Trichter gekommen, dass man die Menschen als Anwender und Anwenderinnen miteinbeziehen muss. Es ist der berühmte Human Factor: Menschen nehmen Sachen anders wahr, verstehen und machen sie anders, als es Fachleute für IT-Sicherheit in einem ingenieurwissenschaftlich idealen Ablauf vorgesehen haben.
Machen Sie das bitte an einem Beispiel fest?Es war mal eine verbreitete Praxis, dass Angestellte regelmässig ihre Passwörter ändern mussten, um scheinbar die Sicherheit eines Unternehmens zu verbessern. Die Forschung hat den gegenteiligen Effekt gezeigt. Warum? Da sie im Turnus weniger Monate das Passwort erneuern mussten, wählten die Menschen häufig besonders leicht zu merkende und damit besonders unsichere Passwörter.
Eines Ihrer Forschungsinteressen gilt der digitalen Selbstbestimmung ...… und Fremdbestimmung!
Warum Fremdbestimmung?Informationelle Selbstbestimmung ist ein politischer Modebegriff. Er wird als Argument dafür benutzt, dass die Digitalisierung den Menschen vermeintlich mehr Freiheiten bringt und sie mehr Kontrolle in ihrem digitalen Alltag haben. In meinen Augen ist es oft umgekehrt: Die Menschen sind weniger frei, weil es ihnen gar nicht möglich ist, sich so zu informieren, dass sie die Konsequenzen ihrer Entscheidungen verstehen können.
«Normale Menschen können AGB kaum verstehen. Das ist Fremdbestimmung im Mantel der Selbstbestimmung!»
Malte Elson
Woran lässt sich das veranschaulichen?Ein klassisches Beispiel: Wer sich bei einem sozialen Netzwerk anmelden will, kann natürlich 80 Seiten Allgemeine Geschäftsbedingungen durchlesen, um zu erfahren, was mit den eigenen Daten passiert. Das macht aber keiner, und es würde auch kaum jemand verstehen, weil die Rechtsabteilungen die AGB so formulieren, dass normale Leute es nicht kapieren können. Das ist Fremdbestimmung im Mantel der Selbstbestimmung! Mir wird zwar die Verantwortung überlassen, aber alles genommen, was ich für eine informierte Entscheidung bräuchte.
Wo noch zeigt sich im «Digital Lifestyle» diese Art Fremdbestimmung?Bei Smart Homes mit ihren intelligenten Glühbirnen und Kühlschränken ist die digitale Selbstbestimmung ein absoluter Schein. Gerade im hochpreisigen Segment gehen die Leute blind vertrauend davon aus, dass der Umgang mit ihren Daten schon in ihrem Interesse sein wird. Das ist aber nicht unbedingt so. In aller Regel ist ihnen nicht bewusst, welche Daten die Geräte verarbeiten und wer darauf zu welchem Zweck zugreifen kann. Der Gesetzgeber aber gestattet den Herstellern digitaler Services, weitestgehend so vorzugehen. Das Datenschutzrechtliche steht ja auf der Packung. In meinen Augen sind solche Prozesse weder selbstbestimmt noch fair.
Mal ganz konkret: Wie kommt man zu einem hinsichtlich Selbstbestimmung angemessen gestalteten Digitalisierungsprozess?Dieser Frage gehe ich in einem Forschungsprojekt am Beispiel digitaler Gesundheitsanwendungen nach, gemeinsam mit Thomas Berger, dem Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie. Wir untersuchen datenschutzrelevante Bedenken und Ängste von Patientinnen und Patienten. Daraus entwickeln wir Konzepte, die die Folgen der Nutzung solcher Apps, etwa zur Reduktion sozialer Ängste, nachvollziehbar machen: Welche Daten werden verarbeitet, wer hat Zugriff, wozu werden sie genutzt? Unser Ziel ist es, die Menschen damit im Entscheidungsprozess zu unterstützen. Zudem erörtern wir, ob und wie eine App ganz ohne Verarbeitung personenbezogener Daten effektiv sein kann.
Es sei gefährlich, die Digitalisierungsprozesse einfach laufen zu lassen, bemerkten Sie eingangs. Über welche Spanne lassen sich ihre Konsequenzen überhaupt überblicken?Jahrzehnte im Voraus zu planen, ist wegen aller Eventualitäten sehr, sehr schwierig. Eine grosse Gefahr liegt in nur kurzfristig gültigen Antworten, die uns fälschlich das Gefühl vermitteln, wir hätten die Digitalisierung im Griff und verstünden, welche psychosozialen und wirtschaftlichen Veränderungen sie bewirkt. Umso wichtiger ist die Gestaltung der Digitalisierungsprozesse – und das kann unbequem sein. Wie gehen wir etwa damit um, dass durch Künstliche Intelligenz (KI) völlig absehbar bestimmte informationsbasierte Berufe ersatzlos wegfallen und viele Menschen arbeitslos werden, etwa in der Verwaltung, weil weniger menschliche Interpretation der gleichen Informationen nötig sein wird? Ich sehe eine Gefahr darin, dass der momentane Diskurs über KI und Digitalisierung nur randständig das Thema der sozialen Gerechtigkeit behandelt.
Dazu braucht es den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. In dem stehen sich gegenwärtig zwei Positionen gegenüber. Plakativ gesagt: Heilserwartung versus Unheilverkündung. Wo stehen Sie als Wissenschaftler?Aus psychologischer Sicht finde ich den Diskurs sehr interessant, denn er zeigt sehr schön, welche Potenziale die Menschen in der Digitalisierung sehen und welche Gefahren sie fürchten. Das sollte uns ein Hinweis sein: Was müssen wir tun, damit die vielen verschiedenen Prozesse erfolgreich sind? Und zwar in dem Sinn erfolgreich, dass wir die Menschen über die Digitalisierung und ihre Konsequenzen aufklären und ihnen unbegründete Ängste nehmen, beispielsweise dass die Digitalisierung Generationen von Süchtigen heranzöge, die nie wieder vom Bildschirm wegkämen. Genauso sollten wir überzogene Hoffnungen dämpfen wie etwa die, dass dank Digitalisierung alle in Zukunft weniger arbeiten müssten.
Es ist sehr wichtig, ehrlich zu sein und zuzugeben, dass wir nicht wissen, was die Digitalisierung in fünf oder zehn Jahren anrichten könnte. Auch wenn das im öffentlichen Diskurs keine beliebte Position ist und wiederum Unsicherheiten erzeugen kann. Deshalb sollten wir uns der Verantwortung bewusst sein, die Erwartungen an die Digitalisierung mit dem Realistischen abzugleichen und in Übereinstimmung zu bringen.
Wer trägt Ihrer Ansicht nach die Verantwortung, dass wir nicht zu einer Gesellschaft aus «Bildschirmsüchtigen» mutieren, sondern kompetent mit digitalen Medien umgehen können?Die Gesamtheit aller massgeblichen Akteure: Dazu zählen Eltern, die Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Universität, alle Akteure mit grossen wirtschaftlichen Interessen an der Digitalisierung und die Regierungen, die dafür sorgen sollten, dass es diesen Akteuren nicht so leichtfällt, fehlende Medienkompetenz womöglich zu missbrauchen.
Die Medienkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts und kann ein wichtiges Instrument für eine erfolgreiche digitale Selbstbestimmung sein – aber nur, wenn die Digitalisierungsprozesse so gestaltet werden, dass Menschen kompetent agieren können. Wegen der Entwicklungssprünge wie derzeit in der KI muss die Medienkompetenz zudem immer wieder neu erlernt und aktualisiert werden.
ist ausserordentlicher Professor für die Psychologie der Digitalisierung an der Universität Bern. Er forscht unter anderem zu Usable Security und Privacy (zum Beispiel Datenschutz im digitalisierten Alltag), zur Mediennutzung und Medienwirkung sowie zur Replizierbarkeit und Qualität psychologischer Forschung. Prof. Dr. Malte Elson Die Universität Bern betreibt Spitzenforschung zu Themen, die uns als Gesellschaft beschäftigen und unsere Zukunft prägen. Im uniAKTUELL zeigen wir ausgewählte Beispiele und stellen Ihnen die Menschen dahinter vor – packend, multimedial und kostenlos. Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem neuen Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS zeigt viermal pro Jahr, was Wissenschaft zu leisten vermag. Jede Ausgabe fokussiert aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf einen thematischen Schwerpunkt und will so möglichst viel an Expertise und Forschungsergebnissen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Bern zusammenführen.Zur Person
Malte Elson
Kontakt
malte.elson@unibe.ch
Das Online-Magazin der Universität Bern
uniAKTUELL als Newsletter abonnieren
Das Print-Magazin der Universität Bern
4x im Jahr uniFOKUS im Briefkasten