«Ein inklusiver Blick kommt allen zugute»

Wie moderne Frauenförderung an der Universität Bern funktioniert und wie sich eine Chancengleichheit erreichen lässt, bei der neben dem Geschlecht weitere Diversitätskategorien berücksichtigt werden, erklärt Claudia Willen, Leiterin der Abteilung Chancengleichheit.

Die Universität Bern gilt in der Frauenförderung als Pionierin in der Schweizer Hochschullandschaft. Warum?

Claudia Willen: Sie war die erste Hochschule in der Schweiz, die eine Abteilung für Frauenförderung und eine gesamtuniversitäre Kommission für Gleichstellung eingerichtet hat – und das bereits 1990. Durch die Verteilung des Engagements auf verschiedene Gremien und Ebenen liess sich die Gleichstellungsarbeit an unserer Hochschule institutionell breit verankern und auch rechtlich fixieren. Seit 33 Jahren entsendet die Universität Bern zudem als erste und nach wie vor einzige Hochschule der Schweiz eine Vertretung der heutigen Abteilung für Chancengleichheit in alle Anstellungsverfahren für Professuren.

Was können Sie konkret in den Berufungskommissionen bewirken?

Da wir in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu den Kommissionsmitgliedern stehen, können wir als Aussenstehende Sensibilisierungsarbeit leisten und auch Rückfragen stellen. Viele unserer Fragen werden heute bereits von anderen Mitgliedern gestellt. Sie reden über Vorurteile, ungleiche Chancen, und auch Diversitätsaspekte wie die ethnische Herkunft werden beachtet. Wir sind zwar nur beratend und ohne Stimmrecht tätig, aber wir schreiben einen Mitbericht zuhanden der Fakultät und der Universitätsleitung, in dem wir etwa festhalten, ob für eine Professur aktiv nach dem untervertretenen Geschlecht gesucht wurde und ob wir mit der Auswahl der eingeladenen Kandidatinnen und Kandidaten und mit deren Rangierung einverstanden sind. Dieser Bericht ist ein wichtiges Instrument, denn die Universitätsleitung, die letztlich über die Anstellung entscheidet, liest ihn sehr aufmerksam.

Trotz der langjährigen Förderung liegt der Frauenanteil bei den Professuren erst bei 30 Prozent. Warum?

1990 lag der Frauenanteil gerade mal bei drei Prozent. Seitdem hat er sich langsam, aber stetig erhöht. Ein Forecasting-Modell zeigt, dass wir selbst bei jährlich 55 Prozent weiblichen Neuberufungen erst 2045 Geschlechterparität erzielen würden. Eine Professur hat man auf Lebenszeit, ein solcher Strukturwandel benötigt also Zeit. Über die ganze Universität betrachtet ist der Frauenanteil im Mittelbau heute ziemlich hoch, aber oben auf Stufe Professur eben noch nicht.

Warum erfolgte der Namenswechsel Ihrer Abteilung zu «Abteilung für Chancengleichheit»?

Seit 2020 spielt das Thema Diversität sowohl in der Gesellschaft als auch im Bundesprogramm Chancengleichheit eine immer grössere Rolle. Wir haben unsere Abteilung aber nicht unmittelbar umbenannt, weil wir den Begriff der Diversität erst mit Inhalt füllen wollten. Zunächst haben wir zusammen mit der Kommission für Gleichstellung geklärt, wie wir Diversität definieren, welche Ziele wir haben und was diese konkret für unsere Arbeit sowie den allgemeinen Umgang der Universität damit bedeuten. Auf dieser Basis haben wir Leitlinien für Chancengleichheit erarbeitet, welche die Universitätsleitung so zur Kenntnis genommen hat.

Ist dies eine Ausweitung Ihres Auftrags und welche Ziele sind damit verbunden?

Ja, zusätzlich zum Geschlecht wurden die Diversitätskategorien physische und psychische Beeinträchtigung, Alter, ethnische und soziale Herkunft sowie sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in die gesamtuniversitären und die fakultären Chancengleichheitspläne integriert. Aufgrund dessen haben wir in den letzten beiden Jahren zwei thematische Anlaufstellen zu Behinderung und psychischer Gesundheit sowie zu Rassismus geschaffen. Damit sind wir Vorreiterin innerhalb der Schweizer Hochschullandschaft. Die vielfältigen Perspektiven der Universitätsangehörigen sind ein wesentlicher Bestandteil von Exzellenz in Forschung, Lehre und Verwaltung, so die Strategie 2030 der Universität Bern. Noch sind wir dabei, die Ein- und Ausschlussmechanismen zu Studienwahl und -zugang sowie die Zuschreibungen, die zu Ungleichbehandlungen führen, systematisch zu analysieren. Auf Basis unserer Erkenntnisse können dann gezielte Massnahmen ergriffen werden, um alle Chancengleichheitsthemen anzugehen. Dazu braucht es aber das Engagement auf allen universitären Stufen.

Was ist nun geplant?

Im Aktionsplan 2025–2028 wollen wir die bewährten Gleichstellungsmassnahmen weiterführen, aber auch eine nachhaltig inklusive Entwicklung unserer Hochschule fördern. Wir möchten die Arbeit zu den neuen Diversitätskategorien institutionalisieren und einen Fokus auf die diskriminierungsanfälligen Bereiche wie ethnische und soziale Herkunft sowie physische und psychische Beeinträchtigung legen. Wir müssen schauen, wie ein inklusiver Blick allen zugutekommt, wenn wir Massnahmen für mehr Chancengleichheit ergreifen. Hier geht es nicht nur um eine barrierefreie Infrastruktur und eine hindernisarme Lehre, sondern auch um ein respektvolles Studien- und Arbeitsumfeld. Und somit um die Frage, was für eine Wissenschafts- und Teamkultur wir fördern möchten. Dies gehen wir in unserer «Better Science Initiative» an (siehe Interview).

Was heisst das konkret?

Der neue Aktionsplan umfasst mehr als 50 Massnahmen, knapp zwei Drittel davon sind bereits bewährte Instrumente und ein Drittel haben wir neu definiert. Neu eingeführt haben wir 2024 beispielsweise das «Generationentandem» für wissenschaftliches, administratives oder technisches Personal, um den Fachaustausch zwischen erfahrenen und jüngeren Mitarbeitenden zu fördern. Zudem ist die Universität Bern an Kooperationsprojekten mit anderen Schweizer Hochschulen wie dem «H.I.T. Program» beteiligt (siehe Kasten).

Was unternimmt die Universität Bern, um die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie zu erleichtern?

Was Unterstützungsangebote betrifft, bietet die Stiftung Kinderbetreuungsangebot Hochschulraum Bern – kurz KIHOB – mittlerweile nicht nur Kitaplätze für Kinder von Universitätsangehörigen an, sondern auch flexible Betreuung in Randzeiten und während Veranstaltungen. Zudem steht neben den Eltern-Kind-Räumen mit dem «Plan B» eine kurzfristige Betreuungsoption zu Hause für ausserordentliche Engpässe zur Verfügung. Postdocs, Assistenzprofessor*innen und Dozierende mit Betreuungspflichten, die 80 bis 100 Prozent angestellt sind, haben die Möglichkeit, einen 120%-Care-Grant zu beantragen (siehe Box). Als einzige Schweizer Universität haben wir 2015 ein Reglement für Jobsharing auf der Stufe Professur eingeführt. Zudem bietet unsere Hochschule über den Entlastungspool zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten für Professor*innen an, die aufgrund von Care-Verpflichtungen in einem Jobsharing-Modell arbeiten.

Werden diese Angebote auch von Männern angenommen?

Wir erhalten zunehmend auch Anträge von Männern, etwa beim 120%-Care-Grant. Es scheint eine Sensibilisierung stattgefunden zu haben, die sich in einem veränderten Verhältnis zu Arbeit, Karriere und Zeit zeigt. Väter sind zunehmend bereit, eine Lohneinbusse durch Teilzeitarbeit in Kauf zu nehmen, um einen Teil der Kinderbetreuung zu übernehmen. Lediglich das Jobsharing wird fast ausnahmslos von Frauen genutzt. Und selbst da ist die Zahl gering, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen vorhanden sind. In vielen Köpfen ist noch ein Umdenken erforderlich, dass eine geteilte Professur nicht weniger Anerkennung erhält oder zu Mehraufwand führt. Die Universität Bern arbeitet nicht mit Sanktionen oder Quoten. Umso wichtiger wäre, dass wir nicht nur innovative und flexible Arbeitszeit- und Jobsharing-Modelle propagieren, sondern auch viele effektive Beispiele haben, die zeigen, wie diese Modelle gelebt werden.

Zur Person

Claudia Willen

ist Leiterin der Abteilung für Chancengleichheit. Sie ist zusammen mit ihrem Team verantwortlich für die strategische Ausrichtung der universitären Gleichstellungs- und Chancengleichheitsarbeit. Sie nimmt als Chancengleichheitsdelegierte Einsitz in Anstellungsverfahren der Universität Bern.

Kontakt: claudia.willen@unibe.ch

Programme

Für Chancengleichheit

Das COMET-Programm stärkt über Coaching, Mentoring und Training die Kompetenzen und die Motivation weiblicher Postdocs und Habilitandinnen, die von ihnen angestrebte akademische Laufbahn erfolgreich zu realisieren. Im Generationentandem kann die jüngere Person ihr Arbeitspensum erhöhen, um von der fachlichen und institutionellen Expertise sowie den Netzwerken der erfahreneren Person zu profitieren. Die Universität Bern beteiligt sich am H.I.T. Program, das ordentliche und ausserordentliche Professorinnen aller Partneruniversitäten mit Workshops und Netzwerkaktivitäten unterstützt, um sich auf Leitungsfunktionen im Hochschulbereich vorzubereiten. Der 120%-Care-Grant ermöglicht Nachwuchsforschenden mit Betreuungspflichten, ihren Beschäftigungsgrad für maximal zwölf Monate auf mindestens 60 Prozent zu reduzieren und eine Supportperson mit überlappendem Pensum anzustellen.

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Dieser Artikel erschien erstmals in uniFOKUS, dem Printmagazin der Universität Bern. uniFOKUS beleuchtet viermal pro Jahr einen thematischen Schwerpunkt aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Aktuelles Fokusthema: «Frauen in der Wissenschaft»

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