Gesunde Kühe sind nachhaltiger

Wer Fieber hat, leistet weniger. Das gilt auch für die Kuh. Zwei Studentinnen der Veterinärmedizin zeigten in ihrer Arbeit im Rahmen von «Nachhaltigkeit in der Lehre», dass Kühe, die Euterentzündungen durchmachen, weniger Milch geben und das Klima stärker belasten.

Bernhardiner, Murmeltier – oder doch eher die Kuh? Die Schweiz kennt zwar kein offizielles Nationaltier, aber das Hornvieh hätte gute Chancen auf den ersten Podestplatz. Doch das heile Bild von glücklicher Kuh, würzigem Käse und zufriedener Konsumentin hat in den letzten Jahren Kratzer bekommen. So geht hierzulande die Hälfte des klimaschädlichen Methans, das die Landwirtschaft ausstösst, auf das Konto der Kühe. Und die Tatsache, dass die allermeisten männlichen und ein Teil der weiblichen Kälber schon nach vier bis sechs Monaten in den Schlachthof müssen, wirft ethische Fragen auf.

Lorine Droux (links) und Justine Maillard, die beide im zweiten Semester Veterinärmedizin studieren, wollen nach dem Studium mit Pferden oder Kühen arbeiten.

Antibiotikaresistenzen, Verdienstausfall, Klimabelastung

Justine Maillard und Lorine Droux, Studentinnen der Veterinärmedizin an der Universität Bern und mittlerweile im dritten Semester, befassten sich in ihrer allerersten Semesterarbeit mit der Frage, wie diese Auswüchse der modernen Milchproduktion etwas entschärft werden könnten. Ihr Ansatz war die bei Kühen häufig vorkommende Infektionskrankheit Mastitis. Das Besondere an der Arbeit «Ein Überblick über drei Aspekte der Nachhaltigkeit bei der Euterentzündung von Milchkühen», die im Rahmen von «Nachhaltigkeit in der Lehre» (siehe Infobox unten)entstanden ist: Sie nimmt nicht nur die Krankheit und ihre Prävention in den Blick, sondern thematisiert auch, wie die Reduktion von Erkrankungen positiv auf die ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenhänge wirkt.

Nachhaltigkeit in allen Studiengängen: Serie in uniAKTUELL

Alle Studierenden der Universität Bern sollen sich im Lauf ihres Studiums mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Die Universität Bern integriert Nachhaltige Entwicklung deshalb in die Lehre aller Fakultäten und Fachrichtungen und unterstützt die Dozierenden dabei, entsprechende Veranstaltungen zu konzipieren. uniAKTUELL zeigt in einer losen Serie konkrete Beispiele.

Kunstgeschichte: Studierende zeigen Lösungen für nachhaltiges Bauen

Sprachwissenschaft: Sprechen wir über Abfall!

Geologie: Bauabfall ist der Beton von morgen

«Es braucht den Mut, neue Wege einzuschlagen»

Offensichtlich ist der Effekt auf die wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit: Die Milch von Kühen mit Mastitis, denen Antibiotika verabreicht werden, darf nicht konsumiert, sondern muss entsorgt werden. Für den Landwirtschaftsbetrieb bedeutet das einen Verdienstausfall und Entsorgungskosten. Diese Antibiotikagaben haben aber auch einen negativen gesellschaftlichen Effekt: Immer mehr Krankheitskeime entwickeln gegen diese Pharmazeutika Resistenzen. Das erschwert nicht nur die Antibiotikabehandlung von Nutztieren, sondern auch von Menschen. Schliesslich belastet eine kranke Kuh das Klima stärker als eine gesunde, weil sie während mehrerer Tage keine verwertbare Milch produziert, aber trotzdem wie gewohnt frisst, verdaut und dabei Methan ausstösst. Ausserdem sinkt ihre Milchleistung krankheitsbedingt. Pro Tonne Konsummilch trägt sie deshalb mehr zur Klimaerwärmung bei.

Lehrstück für wissenschaftliches Texten

Für die beiden Studentinnen hat die Arbeit einige neue Erkenntnisse ergeben. «Wir suchten in Fachdatenbanken nach Studien, die zeigen, wie man möglichst vermeiden kann, Antibiotika zu verschreiben», erzählt Justine Maillard. Ein Teil der Arbeit, die gemäss Vorgabe auf vier Druckseiten limitiert war, enthält Lösungswege wie strenge Hygiene im Stall beim Melken, genügend Einstreu oder die Separierung infizierter Tiere.

Das Foto täuscht: Die Semesterarbeit von Lorine Droux (links) und Justine Maillard – hier mit Vetsuisse-Kuh Zenta – fand nur vor dem Computer statt.
Das Foto täuscht: Die Semesterarbeit von Lorine Droux (links) und Justine Maillard – hier mit Vetsuisse-Kuh Zenta – fand nur vor dem Computer statt.

Neben den Folgen für Tiere, Umwelt und Betriebsrechnung haben die zwei auch gelernt, systematisch zu recherchieren, die Informationsspreu vom Weizen zu trennen sowie die gesammelten Daten sinnvoll zu ordnen und zu Papier zu bringen. Die kritische Durchsicht durch ihren Mentor Jens Becker lehrte sie beispielsweise, dass es für eine wissenschaftliche Arbeit nicht wie vielleicht manchmal im Gymnasium genügt, dass sie schön formuliert und möglichst attraktiv zu lesen ist. «Wir mussten einiges überarbeiten, die Informationen verdichten und immer den identischen Begriff für denselben Sachverhalt verwenden», erinnert sich Lorine. Aufwendig war auch, die Struktur so anzupassen, dass die Arbeit einen logischen Aufbau hat, und das Fazit korrekt aus den Fakten herzuleiten.

Umwelt- und tierfreundlichere Landwirtschaft

Tatsächlich eignete sich die Arbeit gut dafür, «zu lernen, wie man fachlich korrekt und dennoch verständlich ein solches Papier verfasst», erklärt Jens Becker. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Departement für klinische Veterinärmedizin an der Universität Bern hatte sich im Herbst 2022 als Mentor zur Verfügung gestellt, weil ihm nachhaltige Entwicklung persönlich ein wichtiges Thema ist. «Die meisten von uns konsumieren Hüttenkäse und Parmesan. Aber dass die Milchproduktion auf verschiedenste Weise in das Tierwohl und den Klimawandel verstrickt ist, ist nur wenigen bewusst.»

Die Milchproduktion hat viele Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit – weniger Mastitis-Fälle könnten die negativen Folgen etwas entschärfen.

Während seines eigenen Studiums seien ihm diese Aspekte zwar nicht verschwiegen, aber eben auch nicht aktiv vermittelt worden. «An der Vetsuisse-Fakultät leisten wir einen Beitrag zur Nachhaltigkeit, indem wir erforschen, wie die Landwirtschaft umwelt- und tierschonender produzieren kann.»

Eine Fakultät lernt Nachhaltigkeit

Koordiniert wird die Lehrveranstaltung unter dem Motto «Eine Fakultät lernt», die bisher dreimal stattfand, von Irene Adrian-Kalchhauser. Die Professorin am Institut für Fisch- und Wildtiergesundheit startet jeweils mit einer Informationsveranstaltung: «Hier führen wir das Thema Nachhaltigkeit wissenschaftlich ein, klären Begrifflichkeiten und streuen Ideen. Bei der Wahl des Themas für ihre Projektarbeit sind die Studierenden dann frei.» Adrian-Kalchhauser erkundigt sich im Kollegium, wer sich als Mentorin respektive Mentor zur Verfügung stellt. Anschliessend teilt sie die Studierenden einer zum gewählten Thema passenden Person aus dem Lehrkörper zu.

Thema stösst auf grosses Interesse

Die beiden Studentinnen sind bis heute vom Thema angetan und stossen damit auch im Freundes- und Familienkreis auf grosses Interesse. «Gut möglich, dass ich einen Aspekt der Mastitis in meiner Masterarbeit vertiefen werde», sagt Lorine Droux. Dass sie und Justine Maillard sich als Tandem für die Gruppenarbeit zusammentaten, sei übrigens kein Zufall gewesen: «Wir wohnen in Bern zusammen, studieren dasselbe Fach, sind beide passionierte Reiterinnen – und kommen aus der Romandie, was die sprachliche Zusammenarbeit natürlich erleichtert.» Lorine wie Justine wollen nach ihrer Ausbildung mit Grosstieren arbeiten, mit Pferden oder Kühen. Und in beiden Elternhäusern lebt auch eine Katze. Justine: «Wenn wir in Anatomie etwas Neues gelernt haben, untersuche ich sie gelegentlich – aber sie mag das nicht sonderlich.»

Förderung Nachhaltige Entwicklung in der Lehre

Über das Fördergefäss FNE (Förderung Nachhaltige Entwicklung durch Bildung) können Mitarbeitende der Universität Bern Ressourcen beantragen, um nachhaltigkeitsrelevante Bildungsprojekte an der Universität Bern zu entwickeln. Konkret sollen unterschiedliche Themen mit einer Nachhaltigen Entwicklung (NE) verknüpft werden, nachhaltigkeitsrelevante Kompetenzen gefördert oder Reflexionsprozesse für eine NE angestossen werden.

Die FNE-Förderung ist Teil des Projekts «Bildung für Nachhaltige Entwicklung » der Universität Bern. Dieses Projekt unterstützt das Vizerektorat Qualität und Nachhaltig Entwicklung darin, NE stärker in die Bildung der Universität zu integrieren. Es zeigt sowohl verschiedene disziplinäre als auch interdisziplinäre Verknüpfungen mit NE auf und unterstützt die Fakultäten und Institute darin, diese Verbindungen zu verstärken und nach aussen sichtbar zu machen. Neben der FNE werden diverse Unterstützungsangebote wie Arbeitsmaterialien oder Dienstleistungen vom BNE-Team des Centre for Development and Environment (CDE) zur Verfügung gestellt.

Mehr Informationen

«Es braucht den Mut, neue Wege einzuschlagen»

Die Universität Bern, die Berner Fachhochschule, die PHBern und die PH NMS wollen gemeinsam «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» stärken: Studierenden sollen komplexe Probleme der Gegenwart und Zukunft verstehen und angehen können. Lilian Trechsel erklärt, was bereits gut funktioniert und was noch ansteht.

Studierende zeigen Lösungen für nachhaltiges Bauen

©Theodora Peter

Was haben Architektur und Design mit der Umwelt zu tun? In einem Praxisseminar setzten sich Studierende mit Nachhaltigkeitskulturen auseinander. Ihre Erkenntnisse machen sie mit Video-Vorträgen einem breiten Publikum zugänglich. Ein Werkstattbesuch.

Sprechen wir über Abfall!

Mit Abfall werden wir jeden Tag konfrontiert. Gleichzeitig ist unser Umgang mit Abfall mit Tabus, Ängsten und Vorurteilen behaftet. Doktorierende der Universität Bern erforschen unsere eigenartige Beziehung zu den ungeliebten Überbleibseln – und sorgen so für Gesprächsstoff.
© Pieter Poldervaart

Mit Abfall werden wir jeden Tag konfrontiert. Gleichzeitig ist unser Umgang mit Abfall mit Tabus, Ängsten und Vorurteilen behaftet. Doktorierende der Universität Bern erforschen unsere eigenartige Beziehung zu den ungeliebten Überbleibseln – und sorgen so für Gesprächsstoff.

Bauabfall ist der Beton von morgen

© Pieter Poldervaart

Unser Abfall besteht zu 90 Prozent aus Aushub- und Rückbaumaterial von Baustellen, Strassen und Gebäuden. Wie mit neuen Methoden der Kreislaufwirtschaft Ressourcen, Landschaft und Klima geschont werden, lernen Studierende der Geologie vor Ort.

Oben