Die Zulassungskriterien für ein Studium in der Schweiz sind für Geflüchtete sehr streng. Ihre schwierige Lebenslage wurde bisher kaum berücksichtigt. Wer etwa vor der Flucht ein Studium begonnen hatte, dieses aber nicht abschliessen konnte, oder wer seine Diplome nicht vorweisen konnte, musste meist von vorne beginnen.

Um die Geflüchteten zu unterstützen, bieten mehrere Universitäten und studentische Initiativen seit einigen Jahren Vorbereitungskurse an. Auch an der Universität Bern führt die Studierendenschaft SUB mit dem Offenen Hörsaal seit 2016 ein Mentoring- und Gasthörendenangebot für geflüchtete Studierende durch. Doch trotz dieser Initiativen bot keine Hochschulinstitution ein Programm an, welches als Qualifikation für eine mögliche Studienzulassung diente.

Ukrainekrieg änderte alles

Ende 2020 begann sich der Arbeitskreis Scholars at Risk an der Universität Bern mit dem Thema Hochschulzugang für geflüchtete Studierende zu befassen. Daraus entstand ein Konzept für ein Hochschulvorbereitungsprojekt für Geflüchtete, das Anfang März 2022 durch die Universitätsleitung gutgeheissen wurde. Die zeitgleiche Invasion der Ukraine durch Russland verlieh dem Thema zusätzliche Aktualität und Dringlichkeit.

Im Frühlingssemester 2022 wandten sich zahlreiche ukrainischer Studieninteressierte, die sich für ein Auslandssemester einschreiben wollten, an die Abteilung UniBE International. 38 wurden als Austauschstudierende in einem vereinfachten Verfahren aufgenommen. Doch dabei handelte es sich lediglich um eine Übergangslösung, da die Studierenden aus der Ukraine laut damaligem Reglement nicht mehr als zwei Semester hätten bleiben dürfen und strenggenommen an einer Partnerhochschule hätten eingeschrieben sein müssen.

Rasch gehandelt

Die Universitätsleitung reagierte im Sommer 2022, indem sie Jana Müller von UniBE International mit der Erarbeitung eines Vorbereitungsjahres für ukrainische Studierende beauftragte. Die Zeit war knapp, denn bereits im Herbstsemester 2022 sollte das Programm starten. Es handelte sich um ein Pilotprojekt, das in dieser Form schweizweit zum ersten Mal durchgeführt wurde und zwei Ziele verfolgte: zum einen sollten die Teilnehmenden innerhalb eines Jahres das geforderte C1-Niveau in Deutsch erlangen und sich auf das Leben und Studieren in der Schweiz vorbereiten können, zum anderen sollten die Erkenntnisse aus dem Projekt für das Kompassjahr übernommen werden können.

Aus erfolgreichem Pilotjahr wird Kompass UniBE

Überzeugt vom Potenzial vom Vorbereitungsjahr Ukraine und davon, dass der Hochschulzugang für Geflüchtete im Allgemeinen verbessert werden muss, trieb die Universitätsleitung die Umsetzung eines Vorbereitungsjahres für Geflüchtete unabhängig der Herkunft voran: im Sommer 2022 stellte sie Ann-Seline Fankhauser und Solvej Sörensen an, um Kompass UniBE, ein zweisemestriges Hochschulvorbereitungsprogramm für studieninteressierte Geflüchtete auf die Beine zu stellen.

«In der Praxis ist die Sprache eine der grössten Hürden für Geflüchtete.»

Ann-Seline Fankhauser

Mit der Unterstützung der damaligen Vizerektorin Qualität Silvia Schroer und einer universitätsinternen Begleitgruppe wurden die Programmanforderungen definiert. Zudem führten Fankhauser und Sörensen Gespräche mit den zuständigen Akteuren aus dem Asyl- und Integrationsbereich, um die künftige Zusammenarbeit zu klären. Nach nur wenigen Monaten schrieb die Universität das Programm aus und definierte das Anmelde- und Selektionsverfahren.

Im April 2023 verabschiedete die Universitätsleitung den rechtlichen Rahmen für das Kompass UniBE Programm. Gleichzeitig wurde die Bewerbungsphase zur Teilnahme am Pilotprojekt erfolgreich abgeschlossen.

Kompass UniBE stösst auf reges Interesse

Kompass UniBE unterstützt sowohl Teilnehmende, welche die länderspezifischen Zulassungsbedingungen grundsätzlich erfüllen, die jedoch noch ungenügende Deutschkenntnisse haben, und solche, bei denen die länderspezifischen Zulassungsbedingungen nur teilweise erfüllt sind. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist und in enger Zusammenarbeit mit den Teams der Abteilung Zulassung, Immatrikulation und Beratung und des Sprachenzentrums wurden die Dossiers und Sprachkenntnisse von über 70 Bewerbenden geprüft. Ende Juni erhielten schlussendlich 20 Personen eine Zusage für die Teilnahme am zweisemestrigen Kompass-Vorbereitungsjahr. Je nach Interessen, Vorbildung und Lernbedarf wurde der Stundenplan für die Teilnehmenden individuell zusammengestellt.

Ein besonderes Augenmerk gilt dem Erwerb der nötigen Sprachkenntnisse der Teilnehmenden, denn «in der Praxis ist die Sprache eine der grössten Hürden für Geflüchtete», sagt Ann-Seline Fankhauser. Darum sei ein rascher Zugang zu akademischen Sprachkursen auf hohem Niveau unerlässlich. Entsprechend kommt dem Sprachenzentrum mit seinem Sprachkursangebot grosse Bedeutung zu.

«Die Zusammenarbeit mit den vielen involvierten Stellen ist herausfordernd. Wir haben dabei viel fürs zweite Jahr gelernt.»

 Solvej Sörensen.

Parallel dazu trafen die Zusagen des Amtes für Integration und Soziales des Kantons Bern, des Staatssekretariats für Migration und der Burgergemeinde Bern ein, die mit Anschubfinanzierungen während den zwei ersten Kompassjahren die Finanzierung durch die Universität ergänzen.

Zusammenarbeit mit internen und externen Partnern

Im Rahmen von Kompass UniBE gibt es neben Sprachkursen auch Kurse zur fachlichen und organisatorischen Vorbereitung. Einzelne dieser Kurse und Veranstaltungen werden von externen Partnern durchgeführt. Zum Beispiel der Mathematikkurs, den die Teilnehmenden an der Pädagogischen Hochschule Bern besuchen oder Informationsveranstaltungen zum Schweizer Bildungssystem, die das Berufsinformationszentrum BIZ anbietet.

Im Studienalltag unterstützt die Studierendenschaft SUB die Teilnehmenden, damit diese sich im komplexen Studienalltag zurechtfinden – und auch die Fakultäten bieten Hand: Kompass-Teilnehmende besuchen als Hörende reguläre Vorlesungen und stossen auf viel Offenheit und Verständnis seitens der Dozierenden.

Ann-Seline Fankhauser und Solvej Sörensen sind sich einig: auch wenn es im ersten Projektdurchlauf einige Hürden zu meistern gab, sind sie dankbar und stolz, dass der Start von Kompass UniBE planmässig erfolgen konnte. Und noch mehr freut sie, dass die Teilnehmenden mit so viel Motivation und Elan in dieses erste Kompass Jahr starteten.